Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
noch was Wichtiges zu tun, bevor ich gehe.
Lexi war nicht nur für heute gegangen. Der Ring bedeutete einen Abschied.
Lexi radelte die Main Street hinauf und stellte das Fahrrad vor Scots Kanzlei ab.
Er saß immer noch in seinem Büro und telefonierte. Als sie eintrat, hielt er lächelnd einen Finger in die Höhe. Einen Moment, sagte er lautlos. Nicht gehen.
Sie setzte sich auf sein Sofa und wartete. Kaum hatte er aufgelegt, stand sie auf und ging zum Schreibtisch. »Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte sie, als sie vor ihm stand.
Er hörte auf, seine Unterlagen zu sortieren, und sah auf. »Was meinen Sie damit?«
»Wissen Sie, was Grace zu mir gesagt hat? Dass ich schon eine Mom bin. Dass ich wissen müsste, wie man sich als Mom verhält. Aber das weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie ich meiner Tochter eine Mutter sein soll. Ich habe keinen Job und keine Wohnung. Nichts. Ich bin nicht bereit. Durch meine Rückkehr habe ich ihnen nur wieder weh getan. Ich habe Grace weh getan.«
»Lexi, Sie dürfen nicht aufgeben.«
»Ich werde auch nicht aufgeben. Ich will immer noch die Sorgerechtsregelung ändern, und ich will Grace eine Mutter sein. Das mehr als alles andere. Aber ich muss es richtig machen. Ich muss tun, was für sie das Beste ist. Nicht, was das Beste für mich ist.« Sie verstummte und zuckte mit den Schultern. »Ich hab versucht, einen Job zu finden. Fehlanzeige. Offensichtlich kann eine vierundzwanzigjährige Vorbestrafte nicht mal putzen. Und eine Wohnung kriege ich auch nicht. Höchstens ein Zimmer zur Untermiete. Ich müsste siebzig Stunden die Woche arbeiten, nur um über die Runden zu kommen. Wie soll ich mich da um Grace kümmern. Wie?«
»Lexi …«
»Bitte«, flüsterte sie. »Machen Sie es mir nicht noch schwerer, ja? Ich bin Ihnen so dankbar für alles, was Sie getan haben, aber morgen früh fahre ich nach Florida. Eva hat mir einen Job besorgt. Damit kann ich genug sparen, um in einem Jahr wieder zurückzukommen. Mein Bus fährt um neun Uhr fünfundzwanzig.«
»Oh, Lexi …«, sagte Scot. »Ich wünschte, Sie hätten auf mich gehört …«
»Sorgen Sie dafür, dass sie mir Fotos schicken«, erwiderte sie leise und versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. »Ich werde ihr jede Woche schreiben.«
Da ging er zu ihr und nahm sie in die Arme. Ihr fiel es schwer, sich von ihm zu lösen. »Danke für alles«, sagte sie schließlich.
»Was ist mit Zach?«, fragte Scot.
Aber die Frage schmerzte so, dass sie nicht mal versuchte zu antworten.
»Soll ich Sie morgen zum Busbahnhof fahren?«
»Nein.« Sie wollte sich auf gar keinen Fall noch mal von ihm verabschieden. »Das ist schon alles arrangiert. Jennys Kostüm hab ich im Konferenzzimmer gelassen. Sagen Sie ihr noch mal danke dafür.«
»Das können Sie ihr selbst sagen. Kommen Sie doch heute Abend zum Essen zu uns.«
»Ist gut, aber ich muss später noch mal weg.«
»Brauchen Sie meine Hilfe?«
»Nein. Das muss ich allein tun.«
Jude saß in Zachs stillem Wohnzimmer auf der Couch. Da sie keine Lampe angeschaltet hatte, drang blaugraues Abendlicht durchs Fenster. Im Kamin tanzte ein orangefarbenes Feuer, das sie ausnahmsweise auch wärmte. Hier und da hörte sie ein Kichern vom Ende des Flurs zu ihr dringen, wo Miles und Grace etwas auf der Wii spielten. Es war, als wäre bei Grace ein Schalter umgelegt worden: Plötzlich plapperte sie in einer Tour und hatte den ganzen Nachmittag über keine einzige Phantasiegeschichte oder Lüge erzählt. Jude war sich ganz sicher, dass die letzten Stunden mit ihrer Enkelin eine der wichtigsten Erinnerungen im neuen Leben ihrer Familie werden würden. Sie markierten den Neuanfang.
Doch selbst als sie sich zu ihnen gesellte, wuchs die Anspannung. Sie wusste, es gab noch etwas zu tun, etwas zu bereinigen.
Gegen sieben Uhr endlich kam Zach mit seinem schweren Rucksack über der Schulter nach Hause.
»Du bist spät dran«, sagte Jude und stand auf.
»Der letzte Test war übel«, erklärte er und schmiss den Rucksack auf den Boden. Er wirkte vollkommen erschöpft. »Ich glaube, den hab ich versemmelt.«
»Du hast viel um die Ohren.«
»Meinst du?«
»Ich hab versucht, dich anzurufen.«
»Mein Akku war leer. Tut mir leid.«
Sie war vom Sofa aufgestanden, blieb aber, wo sie war, und sah ihn an. Selbst jetzt wusste sie nicht, wie sie all das sagen sollte, was ihr im Kopf herumging. Die letzten Tage waren so erschütternd gewesen. Sie fühlte sich wie ein Gletscher, der langsam zu schmelzen
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