Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
verrückt. Sie holte tief Luft, ging zu Samantha und blieb einfach dort stehen. »Meine Mommy ist gestern Abend nach Hause gekommen«, sagte sie schließlich.
Samantha drehte sich zu ihr. »Die Agentin?«
»Eigentlich ist sie gar keine Agentin.«
»Was ist sie denn?«
Grace zuckte mit den Schultern.
»Ach.«
»Willst du heute bei mir sitzen?«, fragte Grace und biss sich auf die Lippen.
»Haust du mich dann?«
»Nein.«
»Spielst du gern ›Himmel und Hölle‹?«, wollte Samantha schließlich wissen. »Ich nämlich ja.«
»Ich auch«, sagte Grace lächelnd. Das war eine Lüge. Eigentlich wusste sie gar nicht, wie man »Himmel und Hölle« spielte, aber sie wollte es lernen. Also war es eine Notlüge. »Sehr gerne sogar.«
Jude wurde sanft vom Tag geweckt. Sie lag im Bett mit Miles, spürte seinen Körper an ihrem und hörte das leichte Kratzen in seinem Atem, das anzeigte, dass er bald schnarchen würde.
Sie küsste seine stopplige Wange und warf die Decke zurück, um aufzustehen. Als sie aus dem Fenster sah, erblickte sie einen leuchtend lachsrosa Himmel über dem stahlblauen Sund und ging zum ersten Mal seit Jahren ihren Fotoapparat suchen.
Mit Bademantel und nackten Füßen schoss sie draußen ein paar Fotos von der schwarzen Zeder vor dem rosafarbenen Himmel. Auf einmal kam ihr alles neu vor. Tautropfen glitzerten im dunkelgrünen Gras und auf der Steinterrasse. Sie dachte an die Partys, die sie früher im Garten gefeiert hatte, das Lachen, das ihn erfüllt hatte, und sehnte sich danach, dies wieder zu erleben. Sie hatte einen riesigen Gartentisch gekauft, weil sie dachte, dass sich später einmal viele Enkelkinder darum scharen würden. Er wurde seit Jahren nicht genutzt.
Zielstrebig ging sie zur Terrasse und zog die Plastikabdeckung vom Tisch, so dass er von der Sonne beschienen werden konnte.
Dann fiel ihr Blick auf den Garten.
Barfuß ging sie über den nassen Rasen und starrte auf ihre vernachlässigten Beete. Sie waren ein einziges Chaos. Die Beete, die sie einst so sorgfältig gepflegt hatte, waren im Dschungel der Farben nicht mehr zu erkennen. Überall waren Blumen – sie blühten trotz ihrer Vernachlässigung – und überschlugen sich geradezu vor Farbenpracht.
Früher hätte sie hier nur Unordnung gesehen, Pflanzen, die wuchsen, wo sie nicht sollten, und ungehemmt Blüten trieben. Sie hätte ihr Gartenwerkzeug gesucht – Scheren, Kellen und Stützen – und sich an die Aufgabe gemacht, alles zu ordnen.
Aber heute, an diesem strahlenden Morgen, sah sie, was ihr früher entgangen war. In all dem Chaos lag Schönheit und etwas Wildes, das von früheren Irrtümern und wiedergutgemachten Fehlern zeugte. Lange Zeit stand Jude nur da und blickte auf ihren ruinierten und doch immer noch schönen Garten. Schließlich kniete sie sich ins Gras und fing an, Unkraut zu zupfen. Als sie eine Stelle gesäubert hatte, stand sie zittrig wieder auf. Ein Anfang war gemacht.
Sie ging zu ihrem Treibhaus, wo sie einst ihre ganze Leidenschaft in die Anzucht von Pflanzen gesteckt hatte. Jetzt war hier alles in Vergessenheit geraten und unter Spinnweben begraben. Das Bewässerungssystem hatte alles am Leben erhalten: die Pflanzen hatten sich angepasst und, wie Menschen, gelernt, unter schwierigen Bedingungen zu leben. Auf einem hohen Regalbord fand sie, wonach sie gesucht hatte: ein kleines weißes Tütchen mit Wildblumensamen. Sie hatte sie ein paar Jahre zuvor von einer Freundin von Mia und Zach gekauft, die sie vor dem Supermarkt verkaufte. Wahrscheinlich von irgendeiner Reise mitgebracht, dachte sie. Aber sie hatte sie niemals aussäen wollen, da Wildblumen schließlich überall wucherten.
Sie nahm das Tütchen vom Regal, ging wieder hinaus und stellte sich in die Mitte ihres zugewucherten Gartens.
Dann schüttete sie die vielen verschiedenen Samen in ihre Hand und blickte auf sie herab. Wie klein die Dinge oft am Anfang waren, dachte sie. Dann warf sie sie lächelnd über ihre Beete. Eines Tages würden die daraus erwachsenden Pflanzen sie überraschen. Und bald, morgen vielleicht, würde sie eine weiße Rose pflanzen, genau hier, wo Mia ihren ersten Zahn verloren hatte …
Sie ging wieder hinein und kochte Kaffee. Der würzige Geruch erfüllte das Haus und lockte Miles in die Küche. Er kam verschlafen hereingestolpert, streckte die Hand aus und murmelte: »Kaffee.«
Sie gab ihm einen Becher. »Hier, bitte, schwarz.«
»Du bist ein Engel.«
»Apropos …«
»Apropos, was?«
»Engel.«
Miles
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