Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
runzelte die Stirn. »Du weißt, vor meinem ersten Kaffee bin ich kaum ansprechbar, aber haben wir über Engel geredet?«
»Ich gehe heute zum Friedhof«, sagte sie leise. »Das habe ich gestern beschlossen.«
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«
Sie war ihm dankbar, dass er fragte. »Nein, es gibt etwas, das ich allein tun muss.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
»Rufst du mich an, wenn du zurückkommst?«
»Hast du Angst, dass ich mich in ein offenes Grab stürze?«
Er küsste sie und löste sich von ihr. »Das hatten wir doch schon. Ich mache mir keine Sorgen mehr. Du bist zurückgekommen.«
»Nenn mich Frodo.«
»Nicht Frodo. Sam. Sam ist zurückgekommen, hat geheiratet und sich ein Leben aufgebaut.«
»Du hast recht. Ich bin Sam.«
Eine halbe Stunde stand sie mit ihm in der Küche zusammen, trank Kaffee und unterhielt sich. Als er duschen ging, fuhr ihr durch den Sinn, wie außerordentlich es doch war, dass sie einfach so zusammenstehen und sich wieder über ganz normale Dinge unterhalten konnten. Über eine mögliche Dinnerparty. Die neueste Kaffeemaschine. Einen Film mit ziemlich guten Kritiken.
Eine ganze Stunde schon hatte sie nicht mehr an ihren Kummer gedacht. Für andere mochte das nichts Großartiges sein, aber für sie war es so gewaltig, als würde sie durch den Ärmelkanal schwimmen. Sie erhaschte einen Blick auf etwas, was sie aufgegeben hatte: die Möglichkeit, wieder sie selbst zu sein und eines Tages vielleicht sogar wieder glücklich zu werden. Sie wusste, ihre Traurigkeit würde sie nie mehr loswerden, aber vielleicht hatte Harriet recht, vielleicht konnte sie weitermachen. Vielleicht heilte die Zeit nicht alle Wunden, aber sie gab einem eine Art Rüstung oder eine neue Perspektive. Die Möglichkeit, sich lächelnd und nicht weinend zu erinnern. Wenn ein Fremder sie eines Tages fragte, wie viele Kinder sie hätte, könnte sie vielleicht antworten eins und dann über Zach sprechen.
Wie sehr sie das hoffte!
Sie ging ins Bad und betrat die Dusche, als Miles herauskam. Er tätschelte ihr im Vorbeigehen den Po, und sie lächelte, wich ihm aus und stellte sich unter das heiße Wasser. Als sie sich gerade das Shampoo ausspülte, hörte sie, wie die Glastür aufging.
»Bist du sicher, dass du klarkommst?« Das war noch mal Miles.
»Mir geht’s gut. Ruf Zach an, und erinnere ihn daran, dass wir morgen ins Aquarium gehen. Wir treffen uns dort mit Mom.«
Miles zögerte. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er über etwas nachdachte.
»Was ist?«, fragte sie, trat aus der Dusche und schlang sich ein Handtuch um.
»Wir hatten vor ein paar Jahren silberne Hochzeit, die wir nicht gefeiert haben. Wir haben gar nicht mehr gefeiert … danach.«
»Das holen wir dieses Jahr nach. Mit einem Essen im Canlis.«
Er hielt ihr ein vertrautes Schmuckkästchen aus blauem Samt hin.
Mit zitternden Händen griff sie danach. Der Samt war oben ganz abgegriffen, weil sie es so oft in Händen gehalten hatte. Aber jetzt hatte sie es seit Jahren nicht mehr angerührt. Sie atmete geräuschvoll aus und öffnete den Deckel. Auf einem strahlend weißen Kissen ragte Mias Abschlussring stolz empor. Das Gold schimmerte im Licht, und die einst leere Fassung trug jetzt einen glitzernden rosafarbenen Diamanten.
Jude sah den Mann an, den sie liebte, und dieses Gefühl ihrer Liebe und Verbundenheit durchströmte sie wie die Flut, die einen ans Ufer brachte. Er kannte sie besser als sie sich selbst; er wusste, dass sie dieses Andenken an ihre Tochter brauchte, etwas, was sie jeden Tag tragen und sehen konnte.
»Ich liebe dich, Miles Farraday.«
Er berührte lächelnd ihr Gesicht. »Du bist eine Kämpfernatur. Weißt du das?«
»Ich wünschte, es wäre so.«
Er küsste sie noch einmal, flüsterte: »Grüß sie von mir«, und ging dann wieder ins Schlafzimmer.
Als er das Haus verließ, fönte sie sich die Haare und zog sich alte bequeme Jeans und einen weißen Kapuzenpulli an. Normalerweise schminkte sie sich, aber heute wollte sie sich vor niemandem verstecken. Sie war, wer sie war: eine Frau, die einen emotionalen Krieg überlebt hatte. Und ihre Falten zeugten davon.
Eigentlich wollte sie direkt aufbrechen, aber irgendwie brachte sie es nicht über sich. In den nächsten Stunden widmete sie sich der Hausarbeit, räumte auf, wusch Wäsche, kochte fürs Abendessen vor.
Sie schindete Zeit. Endlich, kurz nach eins, holte sie tief Luft und hielt inne. Es ist Zeit, Jude. Jetzt.
Sie warf sich eine
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