Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
herausbringen, es steckte wie ein Stein in ihrer Kehle fest. Aber sie musste es aussprechen. Unbedingt. »Danke«, sagte sie schließlich mit brennenden Augen. »Ich mache dir keinen Ärger. Ich schwöre es.«
»Das würde ich nicht tun«, erwiderte Eva, und plötzlich lächelte sie, endlich. »Schließlich bist du ein Teenager. Aber das ist schon in Ordnung, Lexi. Wirklich. Ich bin schon so lange allein, da freue ich mich, dass du hier bist.«
Lexi konnte nur noch nicken. Auch sie war schon lange allein.
Jude Farraday hatte die letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen. Kurz vor Tagesanbruch gab sie es endlich auf, schlug die leichte Sommerdecke zurück, stand auf und verließ das Zimmer, wobei sie darauf achtete, ihren Mann nicht zu wecken. Sie öffnete die Tür zum Garten und ging hinaus.
Der Garten glitzerte in der Morgendämmerung vom Tau. Die sattgrüne Rasenfläche fiel sanft bis zum Sund ab. Kohlrabenschwarze flache Wellen mit orangeroten Spitzen leckten am Ufer aus Sand und grauem Kies. Auf der gegenüberliegenden Seite zeigte die Olympic-Mountains-Gebirgskette ihre gezackte Silhouette in Pink und Lavendel.
Jude schlüpfte in ihre Gartenclogs, die immer an der Tür standen, und ging in den Garten.
Dieses Fleckchen Erde war nicht nur ihr ganzer Stolz, sondern auch ihr persönlicher Tempel. Hier hockte sie sich auf die satte schwarze Erde und grub, pflanzte und zupfte. Innerhalb der niedrigen Einfriedung aus Steinen hatte sie eine Welt erschaffen, die nur von Ordnung und Schönheit zeugte. Was sie hier gepflanzt hatte, blieb, wo es sein sollte, und trieb tiefe Wurzeln ins Erdreich. Ihre geliebten Pflanzen trotzten grimmiger Kälte und schweren Unwettern und erwachten jedes Frühjahr zu neuem Leben.
»Du bist früh auf.«
Jude drehte sich um. Ihr Mann stand auf der Terrasse, direkt an der Schlafzimmertür. Mit seinen schwarzen Boxershorts und den zu langen Haaren, deren Blond allmählich in Grau überging, sah er aus wie ein sexy Professor oder ein Rockstar, der gerade seinen Zenit überschritten hatte. Kein Wunder, dass sie sich vor fast fünfundzwanzig Jahren auf den ersten Blick in ihn verliebt hatte.
Sie streifte sich die Clogs von den Füßen und lief über den Steinpfad zur Terrasse. »Ich konnte nicht schlafen«, gestand sie.
Er nahm sie in den Arm. »Der erste Schultag.«
Das war es, was sich wie ein Einbrecher in ihre Gedanken geschlichen und ihr den Schlaf geraubt hatte. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie schon auf die Highschool kommen. Vor einer Sekunde waren sie doch noch im Kindergarten.«
»Es wird bestimmt spannend zuzusehen, wie sie sich in den nächsten vier Jahren entwickeln.«
»Für dich vielleicht«, erwiderte sie. »Du kannst dir das Ganze ja von der Tribüne aus ansehen. Aber ich bin unten auf dem Spielfeld und muss die Schläge parieren. Ich habe eine Todesangst, dass was schiefgeht.«
»Was soll denn schon schiefgehen? Die beiden sind wissbegierig, schlau und aufgeschlossen. Es spricht alles zu ihren Gunsten.«
»Was schiefgehen kann? Soll das ein Witz sein? Es ist … gefährlich da draußen, Miles. Bis jetzt haben wir sie beschützen können, aber die Highschool ist was ganz anderes.«
»Du solltest langsam anfangen loszulassen, das weißt du.«
So was sagte er ständig zu ihr. Und nicht nur er: Viele andere gaben ihr denselben Rat, und das schon seit Jahren. Man hatte ihr gesagt, sie hielte die Zügel zu fest in der Hand und würde ihre Kinder zu stark kontrollieren, aber sie wusste einfach nicht, wie sie sie loslassen sollte. Es war von Anfang an, seit sie entschieden hatte, Mutter zu werden, ein ewiger Kampf gewesen. Vor den Zwillingen hatte sie drei Fehlgeburten gehabt. Monat für Monat hatte ihre einsetzende Periode sie in tiefste Depressionen gestürzt. Dann geschah das Wunder, und sie war noch einmal schwanger geworden. Die Schwangerschaft war schwierig gewesen, ständig gefährdet, und ihr war fast sechs Monate Bettruhe verordnet worden. Jeder Tag, den sie im Bett verbracht und an ihre Babys gedacht hatte, war ein Kampf gewesen, den sie nur mit purer Willenskraft gewann. Mit ganzem Herzen hatte sie diese Schlacht ausgefochten. »Noch nicht. Sie sind doch erst vierzehn«, sagte Jude.
»Jude«, setzte er seufzend an. »Nur ein bisschen. Mehr will ich gar nicht. Du überprüfst jeden Tag ihre Hausaufgaben, bist bei jedem Schulereignis, bei jedem Ausflug, bei jeder ihrer Aufführungen dabei. Du machst ihnen Frühstück und fährst sie überallhin. Du
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