Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
herauf, das Mia nur entfernt ähnelte. Er ließ unerwähnt, dass sie schnarchte, wenn sie auf dem Rücken lag, dass sie beim Lesen die Lippen bewegte und gern die Hand ihrer besten Freundin hielt, wenn sie mit ihr durch die Mall schlenderte.
Gegen seine Worte konnte Lexi sich stählen. Aber die Fotos aus Mias Leben brachten sie aus der Fassung. Mia in einem rosafarbenen Tutu, die Arme anmutig über dem Kopf … Mia mit einer Captain-Hook-Figur, in die Kamera grinsend … Mia, das Gesicht verziehend, als sie Hand in Hand mit Zach im kalten Meer stand. Das letzte Bild zeigte Mia allein, in einem gebatikten T-Shirt und abgeschnittenen Jeans. Sie lächelte in die Kamera und hielt beide Daumen in die Höhe.
Lexi schloss die Augen. Mittlerweile schluchzte sie. Musik setzte ein, aber nicht die richtige. Mia hätte der feierlich-getragene Choral nicht gefallen. Und das tat irgendwie am meisten weh. Wer auch immer die Musik ausgesucht hatte, hatte nicht an Mia gedacht. Ein Disney-Song hätte besser gepasst, oder irgendein Lied, bei dem Mia aufgesprungen wäre und mit einer Bürste als Mikrofon in der Hand mitgesungen hätte …
Komm, sing mit, Lexster. Wir könnten in einer Band singen … und dann Zach, der lachend gerufen hatte: Aufhören, Mia, die Hunde fangen schon an zu heulen …
Am liebsten hätte sich Lexi die Ohren zugehalten, aber die Worte kamen aus ihrem Inneren. Es waren Erinnerungen, die auf sie einstürmten.
»Es ist Zeit zu gehen, Lexi«, sagte Amanda sanft.
Lexi öffnete die Augen. »Danke, dass ich bei dir sitzen durfte.«
»Kommst du zur Abschlussfeier?«
Lexi zuckte mit den Schultern. War es wirklich erst sechs Tage her, dass Mia, Zach und sie in der Turnhalle zusammen für die Abschlussfeier geprobt hatten? »Ich weiß nicht …«
Die Trauergäste strömten den Gang hinunter zum Ausgang. Lexi spürte ihre Blicke, als sie an ihr vorbeikamen, sah, dass sich ihre Gesichter verzogen. Die Eltern blickten missbilligend, die Jugendlichen traurig und mitfühlend.
Endlich sah sie die Farradays. Sie saßen reglos und still in der vordersten Bank, alle ganz in Schwarz. Die Trauergäste hielten im Vorbeigehen inne, um ihnen ihr Beileid zu bezeugen.
Ohne nachzudenken, steuerte Lexi auf sie zu. Sie ging gegen den Strom, die Gäste starrten sie finster an und machten ihr Platz.
Die Farradays erhoben sich geschlossen aus ihrer Bank und wandten sich um.
Weder Jude noch Zach zeigten irgendeine Reaktion. Sie starrten sie nur ausdruckslos mit tränenüberströmtem Gesicht an.
Lexi hatte schon hundertmal geprobt, was sie sagen wollte, aber jetzt, im vollen Bewusstsein ihres Verlusts und ihrer Schuld, brachte sie kein Wort hervor. Die ganze Familie wandte sich von ihr ab und ging durch die Seitentür der Kirche.
Lexi spürte, dass Eva zu ihr trat. Sie sackte gegen sie, weil sie die Kraft verließ, die sie gebraucht hatte, um überhaupt hierherzukommen.
»Keiner gibt ihm die Schuld«, sagte Eva bitter. »Das ist nicht gerecht.«
»Er ist auch nicht gefahren.«
»Aber er sollte fahren«, erwiderte Eva. »Er hat es versprochen und dann sein Versprechen gebrochen. Also trifft auch ihn die Schuld.«
Lexi dachte daran, wie er sie im Krankenhaus angesehen hatte. Die grünen Augen, die sie so liebte, waren nicht nur durch Trauer verdunkelt. Sie hatte auch Schuldgefühle gesehen, so heftig wie ihre eigenen. »Er gibt sich selbst die Schuld.«
»Das reicht nicht«, erwiderte Eva entschieden. »Los, gehen wir.«
Sie fasste Lexi am Arm und führte sie aus der Kirche. Lexi hörte, dass die Leute tuschelten und ihr die Schuld gaben. Wenn sie nicht so fahrlässig gewesen wäre, hätte sie Eva vielleicht zugestimmt und wäre wütend auf Zach gewesen, aber jetzt traf sie die Hauptschuld. Mehr war dazu nicht zu sagen. Zach hatte sein Versprechen nicht gehalten. Aber sie hatte die tödliche Entscheidung getroffen. Sie war so erfüllt von Schuldgefühlen und Reue, da blieb kein Platz mehr für Wut. Zach hatte einen Fehler gemacht, aber Lexis Tat war viel, viel schlimmer.
»Jemand hätte mir sagen können, dass es besser wäre, nicht zur Beerdigung zu gehen«, sagte Lexi, als sie vom Parkplatz fuhren.
»Wenn«, entgegnete Eva, »dann hättest du das sicher beherzigt.«
Lexi wischte sich über die Augen. »Ganz sicher.«
Jude saß zusammengesunken in der dunklen Limousine. Draußen fing es an zu regnen. Und die Tropfen auf dem Dach klangen wie der Herzschlag eines Babys.
Sie war so tief in ihrer Trauer versunken, dass das
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