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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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graugelbe Licht ihre wunden Augen blendete, als jemand die Wagentür öffnete. Orientierungslos sah sie sich um.
    »Wir sind da«, verkündete der Fahrer, der ihr die Tür aufhielt. Er war nur ein schwarzer Fleck im Regen, ein Schatten unter einem Schirm. Hinter ihm drängten sich Molly und Tim mit ihren erwachsenen Kindern.
    »Komm, Zachary«, sagte ihre Mutter und scheuchte ihn aus der Limousine.
    Miles schob sich an Jude vorbei und stieg aus. Dann hielt er ihr seine Hand hin. »Jude.«
    »Geht schon vor«, sagte sie, froh, dass er ihre Augen hinter der dunklen Sonnenbrille nicht sehen konnte.
    »Ich komm nach«, erklärte Miles zu Caroline gewandt, die ganz sicher nickte, dann forsch losmarschierte und dafür sorgte, dass Zach sich geradehielt und nicht weinte. Das hatte Jude von der Beerdigung ihres Vaters in Erinnerung behalten: Es wurde nicht geweint. Niemand hatte um ihn geweint. Ihre Mutter hatte es einfach nicht zugelassen. Sie behandelte Trauer wie bösartigen Krebs: ein paar Schnitte, ein paar Stiche, und man war so gut wie neu.
    »Du musst gehen«, bat Miles und hockte sich neben sie. Der Regen lief ihm über die Haare und das Gesicht.
    »Ich muss gar nichts.«
    »Ach, Jude«, seufzte er.
    Das war jetzt ihr Familiengeräusch. Wo vorher Lachen herrschte, wurde nun geseufzt. »Meinst du nicht, ich wäre gerne stark genug?«, fragte sie. »Ich schäme mich, ich will hingehen. Aber … ich kann einfach nicht. Ich bin nicht bereit dazu, mit anzusehen, wie sie in die Erde herabgelassen wird. Und ganz sicher werde ich nicht neben dir stehen, wenn du die verdammten Luftballons loslässt.« Ihr brach die Stimme. »Als würde sie oben im Himmel darauf warten, sie zu fangen.«
    »Jude«, sagte er müde, und sie verstand ihn.
    Er wollte, dass sie glaubte, Mia wäre nun an einem besseren Ort, aber das konnte Jude nicht.
    Sie wusste, was es sie kostete, einfach nicht stark sein zu können, aber sie konnte es nicht. Ihr war keine Kraft mehr geblieben. Sosehr sie sich auch bemühte (und ehrlich gesagt, kostete sie schon der Versuch Kraft), konnte sie irgendwie nicht präsent sein, nicht mal als Mutter.
    Zach wusste, dass sie nicht mehr die Alte war. Er behandelte sie wie ein rohes Ei, trat nur vorsichtig auf sie zu und achtete darauf, niemals etwas über Mia zu sagen. Aber manchmal, wenn sie ihm gute Nacht sagte, sah sie Bedürftigkeit in seinen Augen und nackten Schmerz, und sein Blick durchfuhr sie wie ein Messer. Dann berührte sie ihn, aber er ließ sich nicht täuschen. Er wusste, dass nicht sie ihn berührte, denn sie war eigentlich gar nicht da. Und wenn sie ging, wirkte er noch elender als vorher.
    »Du brichst Zach das Herz«, sagte Miles. »Ich weiß, dass du das weißt. Er braucht dich heute.«
    Jude schluckte hart. »Ich weiß. Aber ich kann nicht. Ich kann nicht da stehen. Hast du gesehen, wie uns beim Gottesdienst alle angestarrt haben? Und ich hasste sie alle, weil ihre Kinder gesund und munter sind. Wenn ich andere ansehe, hasse ich sie. Und wenn ich Zach ansehe, sehe ich nur die Leere neben ihm. Er ist nur noch ein halber Mensch, das wissen wir alle … und manchmal kann ich nicht anders und gebe ihm die Schuld dafür. Wenn er nicht getrunken hätte …« Sie holte scharf Luft. »Oder wenn ich ihn an jenem Abend nicht hätte gehen lassen …«
    »Du musst das loslassen …«
    »Es ist noch nicht mal eine Woche her«, fauchte sie. »Und wenn du jetzt sagst, dass die Zeit alle Wunden heilt, dann ersticke ich dich im Schlaf, das schwöre ich bei Gott.«
    Eine ganze Weile starrte Miles sie nur an. Dann zog er sie in die Arme. »Ich liebe dich, Jude«, flüsterte er ihr ins Ohr. Da fing sie trotz ihrer Vorsätze an zu weinen.
    Sie liebte ihn auch. Und sie liebte Zach. Ihre Liebe war irgendwo in ihrem Inneren verborgen. Nur kam sie gerade nicht daran.
    »Ich sage ihr auch von dir Lebewohl.«
    Sie hörte, wie die Wagentür zugedrückt wurde, dann war sie wieder allein. Gott sei Dank. Eine Ewigkeit saß sie im dämmrigen Wageninnern, lauschte auf das Prasseln des Regens auf dem Dach und versuchte, an nichts zu denken, aber ihre Tochter war überall, in jedem Atemzug, in jedem Seufzer, in jedem Lidschlag. Schließlich griff Jude verstohlen in ihre kleine schwarze Handtasche und holte Mias Handy hervor. Mit einem raschen Blick nach rechts und links ließ sie es aufschnappen und hörte sich Mias Mailbox-Ansage an.
    Hi! Hier ist Mia. Ich kann im Moment nicht sprechen, aber wenn ihr eine Nachricht hinterlasst, rufe

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