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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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ich echt sofort zurück.
    Jude hörte sie sich immer wieder an. Manchmal sprach sie mit ihrer Tochter, manchmal weinte sie, manchmal hörte sie nur zu. Sie war so damit beschäftigt, Kontakt mit Mia herzustellen, dass sie erschrocken auffuhr, als die Wagentür aufging. Sie klappte das Handy zu und schob es in ihre Tasche, als Zach in die Limousine stieg. Seine Augen waren rot und geschwollen.
    Jude rutschte zu ihm und ergriff seine Hand. Ihr gefiel es gar nicht, wie er sie ansah – überrascht, dass sie ihn berührte –, und sie wollte etwas Tröstliches sagen, aber es fiel ihr nichts ein.
    Auf der langen Heimfahrt lehnten Zach, Miles und sie sich aneinander.
    Ihre Mutter saß ihnen gegenüber. Sie hatte die Hände im Schoß verschränkt, und ihre Augen glitzerten von ungeweinten Tränen. Dieser Hinweis auf Gefühle, auf Trauer überraschte Jude. Noch vor einer Woche hätte sie bei diesem Anblick gestaunt und die Arme nach ihrer Mutter ausgestreckt. Aber jetzt interessierte es sie nicht. Ihr eigener Schmerz verdrängte alles andere. Das war zwar erbärmlich und demütigend, aber die Wahrheit.
    Am Haus stieg Jude aus dem Wagen und ging allein zur Haustür. Sie wollte jetzt nur noch schlafen. Offenbar hatte sie das laut ausgesprochen, denn sie hörte ihre Mutter sagen: »Das ist eine gute Idee. Der Schlaf wird dir helfen.«
    Das riss Jude aus ihrer Trance. »Ach, ja, Mutter? Tatsächlich?«
    Die Mutter tätschelte Jude das Handgelenk. Es war nur eine flüchtige, eher zu erahnende Berührung. »Gott legt uns nie mehr auf, als wir tragen können. Du bist stark genug für dies hier, Judith.«
    Vor lauter Wut wurde Jude schwarz vor Augen. Auch das war neu. Früher war sie nie wütend geworden, nicht ernsthaft, aber jetzt gehörte die Wut zu ihr wie die Form ihres Gesichts oder die Farbe ihrer Haut. Es kostete sie unendlich Kraft, sie nicht ständig nach außen zu tragen. Bevor sie etwas sagen konnte, was sie später bereuen würde, wandte sie sich abrupt von ihrer Mutter ab und ging ins Haus.
    In der Eingangshalle blieb sie stehen. »Wo ist Mias Pullover?«
    »Was?«, fragte Zach, der ihr folgte.
    »Mias grüner Pullover. Er hat hier gehangen.« Judes Wut verwandelte sich in Panik.
    »In der Wäsche«, antwortete ihre Mutter. »Ich wollte ihn zusammen mit den anderen …«
    Jude rannte in die Waschküche und durchwühlte den Haufen Schmutzwäsche, bis sie Mias Pullover fand. Sie presste ihn an ihr Gesicht und atmete tief Mias Geruch ein. Die weiche Wolle wurde von ihren Tränen feucht, aber das kümmerte sie nicht. Sie ignorierte die Blicke ihrer Familie, taumelte ins Schlafzimmer, knallte die Tür hinter sich zu und ließ sich aufs Bett fallen.
    Nach einer Ewigkeit hörte sie, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde.
    »Hey«, sagte Molly von der Tür aus. Traurig und verunsichert stand sie in ihrem schicken schwarzen Kleid mit dem breiten Gürtel auf der Schwelle und knetete nervös ihre Hände. Ihre weißblonden Haare hielt sie mit einem schmalen Haarband zurück, aber jetzt waren sie zerzaust. An ihrer Stirn zeigte sich der dunkle Haaransatz. »Darf ich reinkommen?«
    »Ich kann dich wohl nicht daran hindern.«
    »Nein.«
    Jude setzte sich mühsam auf und lehnte sich gegen das seidenbezogene Kopfende des Bettes.
    Molly kletterte auf das große Bett und nahm Jude in die Arme, als wäre sie ein kleines Kind. Jude wollte nicht schon wieder weinen, aber sie konnte nicht anders.
    »Früher hielt ich mich für stark«, flüsterte sie.
    »Du bist stark«, erwiderte Molly und strich ihr eine feuchte Haarsträhne hinters Ohr.
    »Nein«, widersprach Jude und wich zurück. »Ich weiß nicht mehr, was ich bin.« Das war die Wahrheit. Ihre innerste Wahrheit war durch all das bloßgelegt worden: Sie war schwach und zerbrechlich. Und nicht im Geringsten die Frau, für die sie sich gehalten hatte.
    Vielleicht stimmte aber das auch nicht. Vielleicht wusste sie jetzt, was sie vorher nicht gewusst hatte: dass sie nicht freundlich, liebevoll, mitfühlend oder auch nur ausgeglichen war. Sie war wütend und schwach und sogar ein bisschen rachsüchtig. Doch vor allem war sie eine schlechte Mutter.
    Alles machte sie jetzt zornig. Die Sonne. Gesunde Kinder. Eltern, die sich über ihre Kinder beklagten. Lexi.
    Plötzlich wollte Jude nicht mehr berührt werden. Sie löste sich aus Mollys Armen und ließ sich gegen das Kopfende sinken. »Sie war nicht angeschnallt«, sagte sie leise und ängstlich. Es war erst ein paar Tage her, doch schon

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