Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
zündete sie sie an, zog an ihr und stieß den Rauch in Richtung der Lüftungsklappe aus. »Hast du Fotos?«
Lexi stellte die Schachtel mit ihren Sachen ab und setzte sich neben Tamica auf den kalten Boden. Sie nahm ein paar Fotos von ihrem Stapel. »Das ist meine Tante Eva. Und das ist Zach.« Sie blickte auf sein Jahrbuchfoto. In letzter Zeit nahm sie es ständig in die Hand, weil sie das Gefühl hatte, ihn schon zu vergessen. Das machte ihr Angst. »Und das ist Mia. Das Mädchen … das ich umgebracht habe.«
Tamica nahm das Foto und betrachtete es. »Hübsches Ding. Reich?«
Lexi runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie das?«
»Na, du bist doch hier.«
Lexi war sich nicht sicher, was sie darauf antworten sollte. Die Frage schien etwas nahezulegen, was nicht der Wahrheit entsprach. Oder was ihr bislang nicht bewusst gewesen war.
»Ich hab meinen Mann umgebracht«, erklärte Tamica und zeigte auf ein Foto an der Wand.
»In Notwehr«, erwiderte Lexi. Das hatte sie schon oft hier gehört. Sie schien im ganzen Gefängnis die Einzige zu sein, die wirklich schuldig war.
»Nee. Ich hab das Arschloch im Schlaf allegemacht.«
»Oh.«
»Ich sitz hier schon so lange, dass ich mich kaum noch an die Scheiße von früher erinnern kann.« Tamica drückte die Zigarette aus und versteckte die ungerauchte Hälfte unter ihrer Matratze. »Tja, ich schätze, wir können über alles reden. Uns kennenlernen.« Sie blickte Lexi an, und in ihren Augen lag eine Traurigkeit, die Lexi beunruhigte. »Schließlich haben wir Zeit. Und ich könnte eine Freundin gebrauchen.«
»Wann kommen Sie denn raus?«
»Ich?« Tamica lächelte kurz. »Nie.«
An einem Mittwoch Ende August tauchte Zach aus seinem Zimmer auf. Er wirkte unordentlich und leicht desorientiert. Seine kurzen Haare waren ungewaschen und standen stachlig vom Kopf ab, und auf seinem T-Shirt prangte ein großer Fleck.
Jude und Miles saßen im Wohnbereich vor dem Fernseher, obwohl keiner von beiden wirklich hinsah. Seit über einer Stunde hatten sie nichts mehr gesagt. Als Zach das Zimmer betrat, zerriss es Jude bei seinem Anblick das Herz. Wenn sie nicht so erschöpft gewesen wäre, hätte sie zu ihm gehen und ihn fragen können, wie es ihm ginge. Aber sie hatte seit Wochen nicht mehr geschlafen, und selbst die kleinste Bewegung überstieg ihre Kräfte. In diesem Sommer hatte sie fünfzehn Pfund verloren. Sie war blass und nur noch Haut und Knochen.
»Ich gehe zur USC «, verkündete Zach ohne weitere Einleitung.
Miles stand langsam auf. »Darüber haben wir doch schon gesprochen, Zach. Ich halte das für keine gute Idee. Es ist zu früh.«
»Das hätte sie sich gewünscht«, erwiderte Zach. Mit diesem Satz schien alle Luft aus dem Zimmer zu weichen. Plötzlich hatten sie Mühe zu atmen.
Miles sank auf die Couch zurück. »Bist du sicher?«
»Sicher?«, wiederholte Zach dumpf. »Ich tu’s einfach, klar?«
Jude starrte ihren Sohn an, sah die leuchtend rosafarbene Haut an seiner Kieferpartie. Seine Venen schimmerten hindurch und wirkten wie Sprünge in altem Porzellan. Er war immer noch groß und breitschultrig, aber die Trauer hatte ihn gebrochen. Wie sollte sie ihm verbieten, an diesem toten Ort zu bleiben, wo einem die Luft zum Atmen fehlte? »Ist gut«, sagte sie schließlich.
Die nächsten Tage bemühte sich Jude mit übermenschlicher Kraft, so zu sein wie früher. Natürlich war das absurd, aber sie wollte dieses eine Mal an ihren Sohn denken und nicht an ihre Tochter. Früher – noch ein paar Monate zuvor, die ihr jetzt wie eine Ewigkeit vorkamen – hätte sie eine Riesenabschiedsparty für ihre Kinder geschmissen. Jetzt musste sie all ihre Kraft bemühen, um ein paar Freunde für Zach einzuladen. Ehrlich gesagt, wollte sie nicht mal das, aber Miles bestand darauf.
Am großen Tag duschte sie und wusch sich die Haare. Als sie in den Spiegel sah, erkannte sie kaum die magere, zerbrechlich wirkende Frau, die ihr entgegenblickte. Zu viele schlaflose Nächte hatten dunkle Ringe unter ihren Augen hinterlassen, und obwohl der August zu Ende ging und einen langen, heißen Sommer abschloss, war sie kreidebleich.
Sie holte ihr Schminktäschchen hervor und machte sich an die Arbeit. Als es gegen drei Uhr an der Tür klingelte, sah sie fast so aus wie früher.
»Sie sind da«, sagte Miles und trat hinter sie. Er schlang die Arme um sie und küsste sie auf den Hals. »Bist du bereit?«
»Natürlich«, erwiderte sie mit einem gezwungenen Lächeln. In Wahrheit überkam
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