Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
ihren Sohn alle Mühe zu geben. Sie wollte das auch. Zumindest vom Kopf her, und sie war entschlossen, sich dieses eine Mal wie eine Mutter zu verhalten.
Deshalb war sie hier, im Dachboden über der Garage. Sie stand vor den roten und grünen Schachteln mit dem Weihnachtsschmuck.
Was hatte sie sich nur gedacht?
Wie sollte sie es über sich bringen, nur drei Strümpfe an den Kamin zu hängen? Oder die Weihnachtsgirlande zu nehmen, die Mia im Kindergarten gebastelt hatte? Wie nur?
Sie kehrte alldem den Rücken zu und ging zur Tür. Als sie zurück im Haus war, zitterten ihre Hände, und ihr war eiskalt.
Sie hätte Miles niemals versprechen dürfen, dass sie das Haus weihnachtlich schmücken wollte, aber Zachs trauriger Blick hatte ihr ein schlechtes Gewissen verursacht. Sie hatte gedacht, das Schmücken würde ihn aufmuntern. Er war die ganze Woche so deprimiert gewesen. Zwar behauptete er, dass im College alles gut lief und er ausgezeichnete Noten bekam – er schwor sogar, dass er immer noch Medizin studieren wolle –, doch er war so still, da vergaß sie manchmal, dass er überhaupt da war. Er ging nie an sein Handy, und nach einer Weile hatte es aufgehört zu klingeln.
Sie begab sich ins Wohnzimmer, wo die Sonne durchs Panoramafenster schien und den Holzboden schimmern ließ. Zach und Miles saßen nebeneinander auf der großen Couch und fuchtelten mit Controllern, während auf dem riesigen Flachbildfernseher zwei Ninjas einen Kickboxkampf veranstalteten.
»Hast du den Weihnachtsschmuck gefunden?«, fragte Miles, ohne aufzublicken.
»Nein.«
Miles seufzte. Neuerdings seufzte er ständig. Sie allerdings auch.
Ihre gesamte Beziehung schien nur noch aus Luft zu bestehen, aus Leere und Nichts. Sie wollte ihn glücklich machen, brachte aber nichts heraus, was er hören wollte.
Als es an der Tür klingelte, war sie erleichtert. Sie wollte niemanden hier sehen, aber noch weniger wollte sie ein weiteres sinnloses Gespräch darüber, wie sie früher gewesen war. »Erwarten wir jemanden?«
»Wohl kaum. Uns besucht doch keiner mehr«, erwiderte Miles.
»Vielleicht ist es Drew oder Greg«, sagte Jude und wappnete sich innerlich, um einem von Zachs Freunden gegenüberzutreten.
Sie ging zur Tür und öffnete.
Vor ihr stand ein Fremder mit einem großen braunen Umschlag.
Nein. Kein Fremder, aber sie konnte ihn nicht einordnen. »Ja, bitte?«
»Ich bin Scot Jacobs. Alexa – Lexi – Baills Anwalt.«
»Kommen Sie doch herein, Mr Jacobs«, bat Miles, der neben Jude aufgetaucht war.
Sie spürte, wie sie beiseitegeschoben wurde, hörte, wie die Tür sich schloss. Mit leichtem Schwindelgefühl folgte sie den Männern ins Wohnzimmer.
»Ich möchte mit Zachary sprechen«, sagte der Anwalt. Als Zach seinen Namen hörte, legte er den Controller weg und stand auf. »Ich habe diese Papiere von Lexi. Sie bat mich, sie Ihnen persönlich zu geben. Sie dachte sich schon, dass Sie dieses Wochenende zu Hause wären.« Er sah Jude nicht an, sondern hielt seinen Blick starr auf Zach gerichtet und gab ihm den Umschlag. »Sie ist schwanger«, erklärte er dann leise.
Wie lange stand sie so da und starrte die beiden an? Sie spürte, wie Blut sie durchströmte und gegen die Wände ihrer Herzkammern pochte. Ein spitzer Schrei schrillte in ihrem Kopf.
Nein. Der Schrei kam von ihr. War das wirklich sie? Die seit Monaten unterdrückte Wut stieg unkontrollierbar in ihr auf. Zach redete, sagte irgendetwas, aber Jude hörte nicht, was; es war ihr ohnehin egal.
»Raus hier«, schrie sie plötzlich.
»Es tut mir leid …«, sagte Scot.
»Leid? Leid? Sie hat meine Tochter getötet, aber das reicht ihr noch nicht, oder? Sie ist noch nicht fertig mit uns. Jetzt muss sie auch noch das Leben meines Sohnes ruinieren. Wie können wir überhaupt sicher sein, dass Zach der Vater ist? Wie weit ist sie?«
»Mom!«, rief Zach scharf.
Miles wirkte bleich und erschüttert, aber in seinen Augen sah Jude kein Zeichen der Wut, die sie gepackt hatte. Das machte sie noch wütender. Neuerdings war sie immer allein mit ihren Gefühlen – und immer falsch.
»Sie ist fast im sechsten Monat«, antwortete Scot.
»Das muss ihr doch sehr gelegen kommen! Was ist in dem Umschlag? Was will sie von Zach?«
»Dies sind Adoptionspapiere, Mrs Farraday, und ich kann Ihnen versichern, dass Lexi die Entscheidung nicht leichtgefallen ist. Falls … Zach das Baby nicht will, ist sie bereit, allein die Adoption einzuleiten. Sie möchte nicht, dass ihr Kind bei
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