Wie Champagner in den Adern
konnte Lena sich nur wünschen, entführt zu werden? Das musste die schrecklichste Erfahrung sein, die sie sich vorstellen konnte. Hatte der Bandit so etwas vorgehabt? Jedenfalls war sie froh, dass er es nicht getan hatte. Dennoch verspürte sie so etwas wie Betrübnis, dass sie ihn nicht wieder sehen würde ...
„Hört mal, ich bin wohl auf diesen Banditen und seine Männer gestoßen", sagte Zara, obwohl sie es eigentlich lieber verschweigen wollte.
Natürlich horchten sofort alle auf, und die Blicke der Anwesenden richteten sich auf sie. „Wo?", wollten einige von ihnen wissen.
„Ich war vor ein paar Tagen frühmorgens im Wadi", berichtete sie leise.
„Allein?", fragte Gordon. „Zara, das war sehr unklug."
„Ja, sicher", gab sie zu. „Ich werde es auch nicht wieder tun. Sie kamen angaloppiert, als ich am Wasserfall stand. Ich habe nichts gehört, aber als ich die Augen aufmachte, waren sie da, auf ihren Pferden."
„Haben sie dich gesehen? Wie bist du entkommen?"
Zara schluckte und wusste nicht genau, warum sie eigentlich niemandem etwas davon erzählen wollte.
„Ich bin über die Felsen hinaufgeklettert und weggerannt, so schnell ich konnte."
„Hätten sie dich gesehen, wären sie dir mit ihren Pferden gefolgt", meinte jemand. „Sie haben dich bestimmt nicht gesehen."
Zara erwiderte nichts. Sie stand auf und ging zum Kühlschrank, um sich ein kaltes Getränk zu holen.
Dann ließ sie ihren Blick nach draußen über die Fundstätte gleiten und überließ es den anderen, sich über die jüngsten Ereignisse zu unterhalten.
Sie konnte sich glücklich schätzen, an dieser Ausgrabung teilzunehmen, die mit Sicherheit in der Archäologie Geschichte machen würde. Die Stadt Iskandiyar aus dem vierten bis dritten Jahrhundert vor Christus war von verschiedenen Schriftstellern der Antike erwähnt worden. Ihre Lage hatte den modernen Archäologen ein Rätsel aufgegeben, obwohl beschrieben stand, dass sie sic h an den Ufern des Flusses befände, der jetzt den Namen Saadat, Glück, trug. Mehr als ein Jahrhundert hatten Reisende vergebens nach Anzeichen dafür geforscht. Von so einer bekannten Stadt hätte es auffallende Reste geben müssen.
Manche hatten vermutet, dass die Schriftsteller der Antike ungenaue Angaben gemacht hätten, aber Gordon hatte nie an ihnen gezweifelt. Er hatte sich während seiner Karriere mit Iskandiyar beschäftigt und war eines Tages auf einen Hinweis gestoßen: „... zu ihren Lebzeiten hat Königin Halimah von Barakat Brücken, Tunnel und viele öffentliche Gebäude errichten lassen. Sie hat den Lauf der Flüsse, sogar den des mächtigen Sa'adat, verändern lassen, wie es ihr beliebte ..."
Das war die Erklärung, die ihm gefehlt hatte. Wenn der Lauf des Flusses achthundert Jahre nach dem Bau der Stadt verändert worden war, dann konnten die Reste nicht mehr an den Ufern des Flusses liegen.
Glücklicherweise hatte Zara Gordons Seminare besucht, gerade zu der Zeit, als er die mutmaßliche Stätte in der Wüste südlich des Flusses entdeckt hatte, und durch einen noch günstigeren Zufall hatte sie ihr Examen gemacht, als Gordon seine finanziellen Mittel bewilligt bekommen hatte. Das Beste allerdings war gewesen, dass er ihr einen Platz in seinem Team angeboten hatte.
Bevor sie jedoch die marmornen Löwen nicht vom Sand der Zeit befreit hatten, konnten sie nicht sicher sein, dass es die gesuchte Stätte war. Doch die Schriftsteller der Antike hatten die Löwentore von Iskandiyar beschrieben, und jetzt war zweifelsfrei bewiesen: Hier lag die Stadt, die Alexander der Große auf seinem siegreichen Marsch nach Osten vor mehr als zweitausenddreihundert Jahren gegründet hatte. Schon bald nach diesem Ereignis hatte er bittere Tränen geweint, weil es nichts mehr zu erobern gegeben hatte.
Zara blickte hinüber zu den weißen Säulen, die in der sengenden Sonne glänzten. Manchmal dachte sie über Alexanders Tränen nach. Hatte er eine innere Leere verspürt, die er ignorieren konnte, solange er durch die Gegend zog, kämpfte und alles in Besitz nahm, auf das er traf?
Zara war noch keine dreiunddreißig, so alt wie Alexander, als er über die damals bekannte Welt geherrscht hatte, und obwohl es für sie aufregend war, an diesem Erfolg teilzuhaben, gab es für sie noch Welten zu erobern. Aber manchmal verspürte sie das Bedürfnis zu weinen, weil ihr das Leben in gewissen Augenblicken leer schien. Sie verstand nicht, warum. Es kam ihr so vor, als würde ihr eine innere Stimme sagen, sie
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