Wie der Earl das Sandwich entdeckte (German Edition)
es schlicht nach seinem Erfinder nannte: Sandwich.
Nun erscheint es etwas merkwürdig, dass ein englischer Adliger des 18. Jahrhunderts der erste Mensch oder zumindest der erste Europäer gewesen sein soll, der ein zusammengeklapptes Brot mit Fleisch gegessen haben soll. Eigentlich sollte man meinen, dass Landarbeiter auf dem Feld oder praktisch denkende Hausfrauen lange vor ihm auf diese Idee gekommen sind. Aber die Literatur vergangener Jahrhunderte schweigt sich zu dieser Frage hartnäckig aus. Die Sachsen zum Beispiel konnten sich ein Leben ohne ihr Butterbrot gar nicht vorstellen, das schon im Leipziger Frauenzimmer-Lexicon aus dem Jahr 1715 einen eigenen Eintrag hat: »Butter-Bamme oder Schnittlein seynd zwei dünne mit Butter oder auch manchmahl mit Fett überschmierte und über einander gelegte Schnittlein von Brod oder Semmel, dergleichen die Muhmen denen kleinen Kindern zum Morgen-und Vesper-Brod mit zu theilen gewohnet seynd.« Diese Klappbrote kannte schon Martin Luther (1483–1546) als »Butterpamme«. Aber es fehlt etwas Entscheidendes: der Belag. Zwar ist im 19. Jahrhundert auch von »Butterbämmen« mit Fleisch oder Käse die Rede, aber es fehlt an Beweisen für die Zeit davor. Davon abgesehen, waren dem Earl of Sandwich und der feinen Londoner Gesellschaft die sächsischen Nahrungsgewohnheiten garantiert unbekannt.
Zum ersten Mal erwähnt wird das englische Sandwich in einer Notiz des Historikers Edward Gibbon vom 24. November 1762 über ein Abendessen im Londoner »Cocoa-Tree Club«: »Zwanzig oder vielleicht dreißig der ersten Männer des Königreichs im Hinblick auf Mode und Vermögen, speisten an kleinen Tischen … ein Stück kaltes Fleisch oder ein Sandwich und tranken ein Glas Punsch.« Allgemein gilt deshalb 1762 als Geburtsstunde des Sandwiches, obwohl unklar ist, wie lange es damals bereits bekannt war, vor allem unter diesem Namen. Der Cocoa-Tree war ein exklusiver Club der konservativen Tories – Montagu gehörte zu den liberalen Whigs und damit zur politischen Gegenseite; ganz sicher hat er diesen Club nie betreten. Von Zeitzeugen überliefert ist, dass der Earl im Jahr 1762 Präsident des »Beef Steak Club« war, dessen Mitgliedern neben Patriotismus und einer Vorliebe für britisches Rindfleisch ein ausgeprägter Hang zu Schlüpfrigkeiten nachgesagt wurde. Das Essen bei den samstäglichen Treffen bestand grundsätzlich aus Beefsteak, daher der Name. Bekocht oder besser gesagt begrillt wurden die Mitglieder seit 1756 von einem Mann namens Edward Heardson – falls der Earl of Sandwich seine erste Klappstulle hier geordert hat, wäre er quasi der Miterfinder. (Quelle: www.sublimesocietyofbeefsteaks.org , aufgerufen am 26. Mai 2012)
Fakt ist aber, dass die Männer im »Cocoa-Tree Club« ihre Sandwiches nicht nebenbei beim Glücksspiel verzehrten, um eine Hand frei zu haben, sondern es handelte sich um ihr übliches Abendessen, das sie am Tisch sitzend einnahmen. Dass Montagu ein leidenschaftlicher Kartenspieler war, der viele Stunden ohne Pause am Spieltisch verbrachte, ist nicht mehr als ein Gerücht, das ironischerweise ausgerechnet von einem Franzosen verbreitet wurde, nämlich von Pierre-Jean Grosley, der das Jahr 1765 in London verbrachte. Keine andere zeitgenössische Quelle bestätigt diese Geschichte und niemand weiß, ob sein Informant eher ein Freund oder ein Feind des Earls war. Dennoch steht fest, dass der Name Sandwich für ein belegtes Brot auf ihn zurückgeht. Eine halbwegs plausible Erklärung wäre, dass er der erste Mann von Rang war, der diesen Imbiss der kleinen Leute öffentlich verzehrte und ihn somit gesellschaftsfähig machte.
Montagu war allerdings alles andere als ein untadeliger Ehrenmann und ein allseits geachtetes Mitglied des englischen Adels, sein Spitzname war »der unersättliche Earl« – und das war keineswegs eine Anspielung auf seine Essgewohnheiten, denn der Mann war rank und schlank. Seine politische Laufbahn wurde von mehreren Skandalen begleitet; einen davon verursachte er, als er im Jahr 1763 als Minister unveröffentlichte, nicht jugendfreie Poesie seines ehemaligen Freundes John Wilkes im House of Lords des englischen Parlaments vortrug, um diesen, Mitglied des Unterhauses, zu denunzieren und ins Gefängnis zu bringen – was ihm auch gelang. Seinem eigenen Ruf war dieser Verrat allerdings nicht förderlich, er galt zeitweise als unbeliebtester Mann des Königreichs. Häufig zitiert wird ein Wortwechsel, bei dem Montagu seinem
Weitere Kostenlose Bücher