Wie der Earl das Sandwich entdeckte (German Edition)
hat.« Fanny war der Kosename von Stephanie. Dieser Graf gehörte zu einer reichen Pariser Familie und kaufte 1872 ein Anwesen in der Nähe des Ortes Lamotte-Beuvron; er starb acht Jahre später. Selbst wenn er eine Köchin aus der Gegend gehabt haben sollte, ist es ganz unwahrscheinlich, dass sie das Backwerk »erfunden« hat – eine Tarte ist ein rustikaler Obstkuchen, gut für den bürgerlichen Kaffeetisch, aber damals viel zu gewöhnlich für bessere Kreise. Diese Behauptung ist einfach der Versuch, das Rezept nachträglich gewissermaßen in den Adelsstand zu erheben.
Die Entstehung der gestürzten Tarte ist relativ leicht zu erklären, wenn man weiß, dass private Haushalte in vielen Regionen Frankreichs Ende des 19. Jahrhunderts noch keinen Backofen besaßen. Die Hausfrauen kochten auf einem Eisenherd mit offenem Feuer, zum Kuchenbacken verwendeten sie eine spezielle Tortenpfanne mit Füßen und Deckel, die ein bisschen so aussah wie ein modernes Waffeleisen und four de la campagne genannt wurde. Da es über offenem Feuer keine Oberhitze gibt, wurde die Form nach der Hälfte der Backzeit einfach gewendet – der Teig war nun oben, der Belag unten. Irgendwann fanden die Frauen heraus, dass der Apfelkuchen am besten schmeckt, wenn sie die Form nicht wenden, sondern den Teig gleich obenauf legen; für die Oberhitze sorgten glühende Kohlen auf dem Deckel der Pfanne. Diesen Trick kannte man auch in der Familie Tatin. Ob die Tarte aux pommes nun eine Spezialität der Region Solognote war oder vielleicht eher aus der Normandie stammt, einer traditionellen Apfelregion, ist ungeklärt.
Hotel Tatin, Postkarte (um 1910)
Rezepte Tarte Tatin
Ob Curnonsky damals das »Geheimrezept« der Schwestern Tatin erfahren hat, ist ungewiss, zumal beide inzwischen gestorben waren, Caroline 1911, Stephanie sechs Jahre später. Auf der Webseite des Hotels Tatin in Lamotte-Beuvron, das noch heute existiert, ist jedoch zu erfahren, dass ihm ein anderer Autor namens Paul Besnard zuvor gekommen ist, der schon 1921 das angeblich authentische Rezept veröffentlichte. Hier ist die Übersetzung:
» Tarte der Schwestern Tatin. Nimm eine verzinnte Kupferform, etwa 6 cm tief, die innen gut mit einer Schicht Butter eingefettet wird, darüber kommt eine etwa ein Zentimeter dicke Schicht Puderzucker. Dann fülle die Form mit einer Schicht geviertelter Äpfel oder Birnen; auf diese Viertel gib noch etwas Butter und Zucker, dann bedecke alles mit einem pfennigdicken Mürbeteig. Der Kuchen wird auf einem guten Kohlenfeuer gebacken, dann das Ganze umgekehrt in einem four de campagne bei starkem Feuer. Backzeit: 20 bis 25 Minuten. (…) Die Tarte ist gar, wenn die Früchte golden sind und der Zucker etwas karamellisiert. Bedecke die Tarte mit dem Teller, auf dem sie aufgetragen wird, und drehe das Ganze schnell um, so dass die Früchte oben sind. Heiß servieren.«
Paul Besnard, 1921 (Quelle: www.hotel-tatin.fr )
» Tarte Tatin. Man braucht eine Kupferform … und einen Herd, der mit Kohle und Holz geheizt wird. Stelle die Kupferform darauf und lege heiße Glut auf den Deckel der Form, um Hitze von oben und unten zu haben. Nimm ein gutes Stück Butter und knete es gründlich. Verteile es auf dem Boden der Form und streue reichlich Zucker darauf. Schneide die Äpfel klein und lege sie in die Form. Mach so viele Schichten wie hineinpassen. Bedecke die Äpfel mit einer dicken Schicht Zucker. Bereite einen Teig aus Mehl, Butter und Wasser, rolle ihn so dünn aus wie möglich, etwa 1 mm. Bedecke die Äpfel damit … Der Deckel darf den Teig nicht berühren … Wenn die Tarte fertig ist, lege einen Teller obenauf und stülpe sie um. Warm servieren.«
Handschriftliches Rezept von Marie Souchon, 1920er oder 1930er Jahre ( Quelle: www.tartetatin.org )
Caroline (Mitte) und Fanny Tatin (rechts) umgeben von Gästen vor ihrem Hotel (vor 1900)
Tortellini und Ravioli
In Norditalien beanspruchen gleich mehrere Städte die Erfindung der Tortellini für sich, aber Bologna hat in diesem Chor die kräftigste Stimme. Hier erzählt man, dass Venus und Zeus vor langer Zeit nach Bologna kamen und sich in einem Gasthof als normale Reisende ausgaben. Der Wirt war von der Schönheit der Göttin hingerissen und konnte der Versuchung nicht widerstehen, durchs Schlüsselloch ihres Schlafgemachs zu linsen. Im Kerzenlicht erspähte er ihren Bauchnabel, dessen perfekte Form der Verehrer mit Hilfe von Teig nachzuahmen versuchte. Das Ergebnis seiner Bemühungen waren die
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