Wie der Earl das Sandwich entdeckte (German Edition)
Tortellini. Noch heute werden sie in Bologna auch als »heilige Nabel« (umbilichi sacri) bezeichnet. Nur eine alberne Männerfantasie? Na schön, dann erzähle ich noch eine wirklich zu Herzen gehende Geschichte, die in Valeggio sul mincio bei Verona spielt. Der Ort war Ende des 14. Jahrhunderts Schauplatz einer militärischen Auseinandersetzung, deren Details unwichtig sind. Als ein junger Hauptmann nachts am Fluss Wache hielt, entstiegen diesem geheimnisvolle Wesen – als hässliche Hexen verkleidete Nymphen. Als er sich ihnen näherte, flohen sie, doch eine konnte er am Zipfel ihres Mantels erhaschen. Auf der Stelle verliebte er sich in die unmaskierte wunderschöne Fee Silvia. Doch sie musste vor Sonnenaufgang in den Fluss zurück. Nur ein goldenes Taschentuch mit Knoten ließ sie als Pfand zurück. Jede Nacht kehrte sie zurück, bis sie verraten und als Hexe denunziert wurde. Der verliebte Hauptmann folgte ihr daraufhin auf den Grund des Flusses und ließ am Ufer das geknotete Tuch zurück. Zur Erinnerung an diese tragische Liebe bereiten die Frauen in Valeggio seitdem an hohen Festtagen aus Nudelteig »Liebesknoten« (nodi d’amore) zu. Seit 1993 feiert der Ort alljährlich im Juni die »Festa del nodo amore«.
Die reale Geschichte der Tortellini ist etwas weniger märchenhaft. Die Anfänge gefüllter Pasta gehen zurück bis ins Mittelalter, entstanden in den Hofküchen des italienischen Adels. Die Tortellini tauchen zunächst als tortelli oder tortelletti auf, also als »kleine Torten«, womit früher Pasteten gemeint waren. Sie waren zugleich auch eine Spielerei begabter Köche, um ihre adeligen Arbeitgeber zu beeindrucken, wie eine Erläuterung im Liber de coquina aus dem 14. Jahrhundert zeigt: »Über tortelli : Man kann den Teig in die Form jedes gewünschten Instruments bringen. Man kann ihn in Form eines Hufeisens zuschneiden oder in Form von Broschen, Ringen, Buchstaben oder jedes beliebigen Tieres. Du kannst sie füllen, wenn du willst, und in einer Pfanne mit Schmalz und Öl garen.« Die Füllung dieser Tortelli aus zerkleinertem Schweinebauch, Ei, Käse, Milch und Gewürzen wird in diesem Kochbuch übrigens als raviolo bezeichnet. Deshalb war es früher möglich, ravioli nudi ohne Teig zu machen – Ravioli waren quasi Fleischbällchen, manchmal aber auch fleischlose Klößchen. Festgehalten ist das in einem Wörterbuch aus dem Jahr 1612, das raviolo als »feine Speise in kleinen Stücken, zubereitet aus Käse, Ei, Kräutern und Gewürzen« erklärt, während tortello »eine Art raviolo mit einer Hülle aus Pastateig« ist. Diese Unterscheidung wurde in der Toskana bis ins 20. Jahrhundert hinein beibehalten. Der Florentiner Pellegrino Artusi (1820–1911) kennt noch hüllenlose Ravioli alla Romagnola aus Mehl, Ricotta, Käse und Ei, die als Beilage zu Fleisch gegessen werden können. Zu den Ravioli alla Genovese merkt er an, dass das eigentlich keine Ravioli seien, »denn echte Ravioli enthalten kein Fleisch und werden nicht mit Pastateig umhüllt.« Im Ausland verstand man die feinen Unterschiede in der Bezeichnung nicht und nannte gefüllte Nudeltaschen seit dem 14. Jahrhundert allgemein Raffiolen, und seit den 1920er Jahren kennen ihn auch die italienischen Kochbuchautoren nicht mehr.
Ein interessantes altes Rezept für gefüllte Tortellini stammt von Bartolomeo Scappi (um 1500–1577), dem Leibkoch des Papstes. Die Füllung bestand bei ihm aus gekochtem Pancetta, gekochtem Kuheuter, Parmesan, Ei, Rosinen, Safran, Zucker, Zimt, Nelken und Muskat, um nur die wichtigsten zu nennen. In Modena wurden dann im 17. Jahrhundert aus den tortelletti die Tortellini; der neue Name setzte sich später auch in Bologna durch. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden sie immer »in brodo« gegessen, also als Suppeneinlage. Tortellini und andere gefüllte Pasta waren in der Emilia-Romagna aber keineswegs Alltagsgerichte, sondern es gab sie nur an Feiertagen, vor allem zu Weihnachten.
Die Füllung der Tortellini besteht in Bologna aus prosciutto crudo , wie Parmaschinken hier genannt wird, Parmesan, Mortadella, Ei und etwas Muskatnuss. Alle Zutaten werden fein gehackt und müssen vierundzwanzig Stunden durchziehen, ehe sie weiterverarbeitet werden. Dieses Rezept, das heute in Bologna als »original« und verbindlich gilt, mag traditionell sein, aber es gibt wesentlich traditionellere. Ein Kochbuch, das Mitte des 17. Jahrhunderts unter dem Titel L’Apicio in Bologna erschien, schreibt die Tortellini sogar der
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