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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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die Schnelle erkenne ich ein Basketballspiel und Walross und Milica vor ihrem Bus – holt er einen Brief heraus. Eine halbe Seite in Francescos gebrochenem Serbokroatisch. Ob es Walross gut gehe, er habe sich Sorgen gemacht, immer wieder Nahrung und Medikamente nach Višegrad geschickt, ob etwas angekommen sei? Auch mein Name taucht in Francescos Hoffnungen auf. Mit dem Brief kam ein Foto. Es zeigt Francesco, eine junge Frau und ein kleines Mädchen auf einem Staudamm. Nicht zu glauben!, klopft Walross auf das Foto. »Meine Frau Kristina und meine Tochter Drina« steht auf der Rückseite.
    Österreich …, sagt Zoran, als wir am späten Abend in die Kälte hinausgehen und unsere Mützen aufsetzen. Ankica wollte nie mit. Ich habe sie zu sehr erschreckt.
    Die Nacht riecht nach verbrannter Kohle, ich suche nach einem halbwegs sinnvollen Gedanken für Zoran, du kannst ja zu mir nach Deutschland, sage ich, und Zoran zieht die Luft in die Nase und klopft mir auf den Rücken.
    Café Galerie. Liste: Kneipen, Restaurants, Hotels. Turbo-Folk und Eminem und der Junge mit dem Seitenscheitel und einer Narbe, die schuppt, am Kinn. Er legt ein Stoffherz auf jeden Tisch und unter das Herz eine handgeschriebene Erklärung
seines Handicaps. Es gibt rote und rosafarbene Herzen. Der Junge sieht niemandem in die Augen, er ist fast unsichtbar im betrunkenen Gesang. Im Café Galerie kennt man die Lieder auswendig, und der Junge sammelt die Herzen so konzentriert ein, als räumte er ein menschenleeres Zimmer auf. Es ist heiß, das Café übervoll, die Scheiben beschlagen.
    Komisch, sage ich zu Zoran, ich gehe zum ersten Mal in Višegrad aus.
    Auch hier Teletext-Tafeln mit Live-Ergebnissen. Essen gegen Düsseldorf: Eins-eins, ich habe gewonnen.
    Zoran sagt: du verpasst nichts.
    Wir sitzen uns in der äußersten Ecke des Cafés gegenüber, ich höre ihn kaum, die Box direkt über unseren Köpfen. Zoran schweigt die meiste Zeit, ich stelle Fragen und bekomme selten mehr als ein Kopfschütteln zurück. Mit Zoran zu schweigen, war nie wirklich unangenehm, es war eher ein Gefühl, dass ich nichts zu erzählen wusste, das ihm Worte entlocken konnte. Heute Abend ist es ähnlich: egal, ob ich vom Krieg spreche, von der Zeit danach, von Frauen oder Studium oder Fußball – in Zoran regt sich nichts, seine Antworten fallen knapp aus, meistens sind sie nicht mehr als Gesten. Nach dem dritten Bier gebe ich es auf, wie ein Journalist Themen in Zorans Ohr zu schreien, lehne mich in den Sessel zurück und nicke zur Musik. Zoran bestellt zwei Biere und winkt mir dann zu, als würde er mich aus einem anderen Raum zu sich rufen. Ganz nah kommt er an mein Ohr und schreit so laut, dass ich zusammenzucke: guck dich doch mal um, Aleks! Guck dich bitte mal um! Kennst du hier irgendjemanden? Du kennst ja noch nicht mal mich! Du bist ein Fremder, Aleksandar! Zoran starrt mich aus der Nähe an. Sei froh!
    Ich spreche zur Seite: ich will nur meine Erinnerung mit dem Jetzt vergleichen.
    Zorans Augen sind gerötet, er blinzelt nicht. Ich erzähl dir mal was für den Vergleich!, schreit er und klingt wütend, nicht nur, weil er laut ist.

    aleksandar?
    Hallo?
    aleksandar?
    Wer ist da? Ich verstehe Sie ganz schlecht! ich bin es ich bin es so hohe bäume hier so gesunde es ist herrlich bäume so hoch
    Nena? Nena Fatima, bist du es? ich hab ihn unterwegs gesehen im mond ja so einen schlanken hals hat er morgen will ich hinauf will ich
    Nena, wo bist du denn, was … zwei schwarze bauen mein zelt auf höflich sind die ich kann da aber nicht schlafen ist doch viel zu kalt morgen nehmen wir den weg mit dem stärksten wind am mittag setz ich mich an den krater
    Das gibt es doch gar nicht, weiß Mama … ach junge was soll ich noch warten ich bin es schnee wird liegen auf dem mount st helens sagen sie ich will einmal auf etwas stolz sein das mir niemand glaubt
    Nena, gib mir bitte die Mama, ist sie in der Nähe? man kann sich wirklich nicht für immer im stillen freuen junge einen guten grund hab ich jetzt ich bin ja da junge ich bin geflogen und musste mich anschnallen hab ich aber nicht
    Nena … aleksandar ich war nie glücklicher ich werf einen stein in einen vulkan
    Rufst du bitte Mama an, rufst du gleich an? keine sorge sie würde verstehen die schwarzen verstehen mich nicht ich will in der hütte schlafen ich geh da jetzt rein so so hohe bäume und so weites atmen und ein unmaskierter mond
    Nena … Tust du mir einen Gefallen? du hast rafiks stimme mein junge
    Wirfst du

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