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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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in seine Hosenträger über der Brust, beide schütteln wir den Kopf. Ich wäre gern ein mit meinem Opa befreundeter Opa, wir würden zu unseren Enkeln in Rätseln sprechen und jeden Abend mit hinter dem Rücken verschränkten gemeinsamen Erinnerungen und alten Streitigkeiten spazieren gehen.
    Hättest du auch in Osijek gewonnen?, fragt Opa, wissend, dass ich nie nach Osijek kommen werde.
    Nein.
    Warum nicht?
    Jetzt beuge ich mich vor und flüstere: es ist doch nicht mein Fluss dort.
    Wusstest du, sagt Opa, dass es Völker gibt, die kein einziges Spiel haben, in dem es am Ende einen Gewinner gibt?
    Im Amazonas?
    Circa.
    Wir lehnen uns zurück und sehen uns zufrieden um. Jetzt erst fällt mir auf, dass sonst die ganze Zeit niemand gesprochen hat. Mutter steht an der Tür und trägt heute keine Sorgenfalten. Miki und Vater kneten beide irgendetwas in ihren Händen. Oma ist beim feinen Tellerklirren. Ich sehe meine Familie an, als wäre uns allen etwas gelungen.
    Wollen wir morgen Carl Lewis gucken?, frage ich Opa. Ich angle uns das Abendessen, du brätst es, dann gucken wir, ob Carl unter zehn Sekunden bleibt, ja?

    Was ich mir wünsche, fragt später, als alle weg sind und ich schon im Bett liege, meine Mutter. Sie nennt mich ihren Chefgenossenangler. Sie weiß, wie sehr ich das Wort »Chefgenosse« mag. Zu müden Siegern ist man sanft.
    Ich wünsche mir, dass alles für immer gut bleibt, sage ich.
    Wie ist gut?, fragt Mutter und setzt sich auf die Bettkante.
    Wenn du mir heute Abend Brote für morgen machst und ich morgen angeln gehen darf und du dir keine Sorgen machst, wo ich bleibe, und Opa ewig lebt und ihr alle ewig lebt und die Fische nicht aufhören im Fluss zu sein und Osijek aufhört, zu brennen und Roter Stern auch nächstes Jahr den Europapokal holt und Oma Katarina nie der Kaffee und die Nachbarinnen ausgehen und Nena Fatima eigentlich alles hört, obwohl sie nichts hört und die Häuser musizieren und sich ab sofort niemand mehr Gedanken über Kroatien machen muss und es Kästchen gibt, in die Geschmäcker passen, so dass wir sie untereinander tauschen können und wir das Umarmen nicht verlernen und …
    Die Lippen meiner Mutter zittern. In Ordnung, sagt sie und sagt zum ersten Mal, seit es hierfür erste Male gibt, nicht: aber fahr nicht so weit raus.
     
    Ich suche mir die dicksten Würmer aus. Sie winden sich. Mit dem Schraubenzieher steche ich Löcher in den Deckel vom Marmeladenglas. Die Drina entlang auf dem Fahrrad, zwei Stunden durch den Morgennebel und durch Dörfer ohne Namen. Angle, fange, schwimme, rede mit dem Fluss, erzähle ihm alles, esse die Brote: Räucherschinken auf Kajmak. Pflaumenmarmelade auf Pflaumenmarmelade. So dick. Lasse die Huchen frei. Lache laut, weil ich weiß, die Drina mag es, wenn Sieger so lachen. Lache die Huchen frei. Ich lache so laut, und die Drina sagt: ich habe es doch gewusst.

Wie es der dreisten Drina geht, wie es der lippenlosen Drina wirklich geht, was sie vom kleinen Herrn Rzav hält und wie wenig man braucht, um glücklich zu sein wie ein Falke
    M ein Višegrad ist in alle Richtungen in die Berge gewachsen. Mein Višegrad geht in zwei Flüssen auf, sie haben sich hier verabredet, Drina und Rzav, eine endlose Verabredung, ständig, in jeder Sekunde. Wer ist zu wem gekommen, wer von euch war zuerst da?, rufe ich von der Mündung. Und wie sahen sie aus und wie hörten sie sich an: die letzten zehn Sekunden, in denen das Wasser erst noch bevorstand und dann – auf einmal? – ihr zueinander kamt?
    Die Berge begleiten die Drina, knüpfen sie ein zwischen steile Felsen, lassen, was ich spreche, hallen. Je höher die Felsen, desto tiefer der Fluss, so kommt es mir vor, und desto verlorener ist man selbst, egal, ob in einem Boot oder hier am Ufer.
    Gestern konnte keiner ahnen, dass ich gewinne, heute fahre ich mit dem Fahrrad die Drina entlang und möchte nichts als angeln. Es ist früher Morgen, es ist Sonntag, der Nebel pfeift mir kalt um die Ohren. Meine Mutter hat die Brote geschmiert und zwei Äpfel in den Rucksack gelegt. Die kannst du dir unterwegs besorgen, holte mein Vater sie wieder heraus und nahm sie mit in das Atelier. »Stillleben eines schiffbrüchigen Herrschaftssystems und eines defekten Yugos auf steiniger Straße« heißt das Bild, an dem er seit Wochen sitzt.
    Räucherschinken, Kajmak, Pflaumenmarmelade, fingerdick auf dem Schwarzbrot. Meine beiden Angeln ragen aus dem Rucksack. Onkel Miki versprach vor zwei Jahren, mir zu jedem Geburtstag

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