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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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langsam mit der Strömung.
    Was ist das für ein Gefühl mit den ganzen Fischen?
    Es kitzelt, wenn sie springen.
    Ich fahre mit der Hand über die Oberfläche, kitzelt es auch, wenn jemand eine kaputte Waschmaschine in Sie schmeißt?
    Schweine!
    Ich richte mich auf und ziehe die Schnur ein. Der Wurm noch dran. Ich werfe aus, etwas weiter nach links, näher an den Felsen. Drina? Wie kommt es, dass Sie keinen Dialekt sprechen?
    Sprichst du einen?
    Ich sehe auf die Pose und antworte nicht. Wenn ich es tun würde, mit einem »Nein«, würde sie »na also« erwidern. Vielleicht erzählt sie, wenn ich nichts sage, von alleine weiter: wie gut sie mit dem Rzav wirklich befreundet ist, wie sehr sie der Staudamm stört und ob sich auch Flüsse fürchten. Ich verrate nicht, wie sehr ich sie beneide, weil sie so viel sehen kann, von der Quelle bis zur Save, zum Himmel, in die Erde, rechts, links, das ist eine Menge Blick.
    Rzav sei ein feiner Herr, spielt sie kollegial um die Felsen, obwohl er jeden Frühling seine cholerischen Anfälle auslebe und über die Ufern trete. Und der Staudamm stopfe ihr den Mund, schnell fließen sei wie laut schreien. Sie gibt zu, ja, Angst zu haben. Der Winterkälte trotze sie und die Herbstregen wühlen sie nicht auf, aber sie habe davor Angst, dass die Schüsse auch uns mit Krieg anstecken. Gegen den Felsen klagt sie, unzählige Kriege habe sie durchgemacht, einer scheußlicher als der andere. So viele Leichen habe sie tragen müssen, so viele gesprengte Brücken ruhen für immer auf ihrem
Grund. Ich solle ihr glauben, wird sie am Ufer trüb, nichts auf der Welt leide so sehr wie ein Brückenstein ohne seine Brücke. Auch habe sie sich nie verstecken können und vor keinem Verbrechen die Augen verschließen, schäumt sie vor Wut, ich habe nicht mal Augenlider! Ich kenne keinen Schlaf, kann niemanden retten und nichts verhindern. Ich will mich ans Ufer klammern, kann aber nichts festhalten, ich bin ein scheußlicher Aggregatzustand! Ein unendliches Leben lang keine Hände! Wenn ich mich verliebe, küsse ich nicht und wenn ich glücklich bin, greife ich nicht in die Akkordeontasten. Ja, Aleksandar, das ist eine Menge Blick, eine Menge Blick ganz umsonst.
    Einmal, zweimal zuckt die Pose, ich stehe auf, ahne einen dritten Biss, die Pose taucht ganz ab, ich gebe Kontra und spüre sofort das Gewicht an der Angel, lasse etwas Schnur, schlage wieder an und weiß – ich habe ihn. Er ermüdet schnell, ein junger Huchen, ich gebe ihm die Drina zurück und sie lässt ihn einen Bogen springen.
    Drina, ich brauche einen größeren für morgen. Wenn Opa Slavko schon kocht, dann soll es ein anständiger Fisch sein. Was meinen Sie, gewinnt Carl Lewis die hundert Meter?, frage ich und werfe wieder aus, aber der Fluss gibt keine Antwort mehr. Der Wind wird stärker, oder es ist ein Schluchzen der Schlucht, oder möchte der Nebel auch etwas sagen? Er lichtet sich, und die Sonne ist jetzt wieder ganz da für die Lagune, die Grillen sind ganz da für die Lagune, ket-ket, ruft der Falke und stürzt sich in die Schlucht, ket-ket, und ich frage mich, ob auch die Drina genau jetzt eine Gänsehaut hat – die kräuselnden Wellen –, ket-ket, kju, ket-ket.

11. Februar 2002
    L iebe Asija, habe ich dich erfunden? Habe ich unsere Hände an den Lichtschalter geführt wegen einer rührenden Geschichte über Kinder im Krieg? Du hast mir deinen Nachnamen nie verraten, trotzdem adressierte ich jeden Brief, als hätte ich ihn gekannt. Ich erinnere mich an den Morgen des Soldatenreigens. Die Stadtarchitektur hat aus Regenwolken, Tarnfarben und Glassplittern bestanden. Edin und ich wollten etwas völlig Normales machen, etwas so Einfaches spüren wie das Gewicht eines Fisches an der Angel. Du kommst nicht vor. Nicht verängstigt im Treppenhaus, nicht Steine in den Fluss werfend, ich sehe dein schönes Haar zwischen den gemächlich plündernden Soldaten nicht. Du bist nicht mitgekommen, wir haben nie Abschied genommen, Asija.
    Keine Briefe mehr. Ich betrinke mich und rufe Bosnien an, entschuldige die Theatralik. Die Uhr auf meinem Notebook zeigt an: »23:23 Montag, 11. Februar 2002.« An welchem Tag war unser Lichtschalter? Keine Briefe mehr, Asija, hat es dich jemals gegeben?

Ich bin Asija. Sie haben Mama und Papa mitgenommen. Mein Name hat eine Bedeutung. Deine Bilder sind gemein
    I ch fahre mit dem Mauszeiger über die Uhr. »23:23 Montag, 11. Februar 2002.« Ich klicke, das Fenster »Eigenschaften von Datum und Uhrzeit«

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