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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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nickte Opa.
    Wäre ich Fähigkeitenzauberer, gäbe es musizierende Häuser, musikalisch circa so begabt wie Johann Sebastian Bach, dessen Verdienste und die grandiose Perücke ich aus dem Musiklexikon kenne, das mir Herr Musikprofessor Popović geschenkt hat, ein mit Opa Slavko befreundeter Opa. Auch die Bedeutungen des Wortes »barock« kann man in dem Lexikon nachschlagen, ich habe sie auswendig gelernt, eine Zeit lang war »barock« mein Hauptkomplimentwort und wurde erst neulich von »exquisit« abgelöst.
    Bei einer Großmutter, die allein wohnt und fernsieht und Blumen gießt und düngt und wartet, dass jemand durch die Tür kommt und immer zu viel gekocht hat, weil sie sich an sich selbst so allein nicht gewöhnen kann, würde das Haus Lieder aus einer Zeit spielen, die viel leiser war, weil es mehr wiederkäuende Kühe gab und weniger Auspuffe und Staubsauger.

    Das Haus meines Serbokroatischlehrers Herr Fazlagić würde wie das Meer rauschen, weil das den Blutdruck senkt.
    Das Haus meiner Familie hätte ein Repertoire, so groß und unberechenbar wie die Menge und Sorten der Launen, die unter unserem Dach mit und in uns wohnen. Unsere Küche würde »The Doors« spielen, weil Jim Morrison den sorgenvollen Blick meiner Mutter in einen sehnsüchtigen Blick verwandelt. Französische Chansons würden erklingen, wenn Vater in seinem Atelier verschwindet. Johann Sebastian, wenn Onkel Miki und mein Vater zusammen Politik schauen und Vater schreit: nein, wir streiten nicht, wir diskutieren nur laut! Wenn Vater, französische Chansons pfeifend, Mutter zum Abendessen in die Mündung ausführt: Pink Floyd. Herr Floyd macht erwachsen und nervt so angenehm. Ich nippe an Vaters Cognac und sehe fern ohne Ton.
    Die letzten drei Minuten von Ravels Bolero auf voller Lautstärke, wenn Tante Taifun vorbeikommt.
    In Nena Fatimas Garten an der Drina würden die Sonnenblumen Lieder spielen, die Nena als Mädchen gesungen hat und die sie noch heute alle auswendig kennt. Stumm würde Nena mitsummen, und wenn ihr Tränen kämen – weil etwas auswendig zu können häufig das Traurigste auf der Welt ist –, würde der pfiffige Schornstein einen Reigen spielen. Tränen und Reigen gehen nicht zusammen. Das Besondere an meinen musizierenden Häusern wäre, dass sie auch jemand, der taub ist wie eine Kanone, hören könnte.
    Mein Haus würde mit der Stimme meines Ur-Opas singen und einmal am Tag etwas versprechen, was von Dauer sein würde.
    Ich stelle das Lexikon der Weltmusik zurück ins Regal und frage meine Mutter, wann sie mich bitte endlich zwingen wird, ein Instrument zu lernen oder drei oder gleich Akkordeon. Sie sieht Nachrichten: Barrikaden und brennende Fahnen. Ich stelle die Frage im gleichen Wortlaut noch einmal.
    Ich male zehn waffenlose Soldaten.
    Ich male Mutters Gesicht, lächelnd, heiter, sorglos.

    Wäre ich Fähigkeitenzauberer, könnten Bilder sprechen, während wir sie malen.
    Wäre ich Fähigkeitenzauberer, könnten Häuser Versprechen halten. Und sie müssten versprechen, nicht Dächer zu verlieren oder in Flammen aufzugehen. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, würden die Einschusslochnarben über die Jahre wieder zuwachsen.
    Was musiziert eigentlich ein Hochhaus im Krieg?

Welcher Sieg der schönste ist, was mir Opa Slavko zutraut und warum alle so tun, als würde die Angst kleiner werden, wenn man über sie nicht spricht
    K einer konnte ahnen, dass ich gewinnen würde. Onkel Miki gibt mir einen Klaps auf den Hinterkopf und sagt: es konnte ja keiner ahnen, dass du gewinnst. Meine Mutter streicht mir eine Strähne hinter das Ohr, aber sie fällt sofort wieder zurück in die Stirn. Also wirklich, das hätte niemand ahnen können, sagt sie und nimmt mein Gesicht zwischen die Hände.
    Die Keiner-konnte-ahnen-Siegerehrung ist gerade vorbei, der Zweitplatzierte mindestens sechsmal älter und zweimal größer als ich. Er gibt mir die Hand, unsere Angelruten kreuzen sich wie Degen. Onkel Miki schiebt ihn zur Seite – er mag mich zwar nicht besonders, aber andere mag er noch weniger, und zu lange gratulieren ist immer verdächtig.
    Mein Vater war nicht mitgekommen. Er musste ein Bild in seinem Atelier fertig machen. In letzter Zeit macht er ständig seine Bilder fertig und sobald er eines fertig hat, fängt er zwei neue an. In seinem Atelier ist kein Platz mehr, das Schlafzimmer muss herhalten, Mutter wacht nachts auf und schreit: überall Gesichter!
    Ich sehe zum Fluss, dann zu meiner Goldmedaille, ich habe nicht vor, sie

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