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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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und kletterte über den Zaun in Mirelas Garten. Auf dem Veranda-Tisch lagen Francescos Zeichenutensilien. Ich wog den Zirkel auf der Hand, das Metall war kühl. Ich grub ein Loch.
    Francesco besuchte ich nicht mehr und mied es, auf die Straße zu gehen, wenn er auf der Veranda saß. Ich schämte mich. Die Scham hatte einen eigenen Herzschlag. Alles, was die Leute über Francesco sagten und alles, was ich selbst dachte, ließ das Schamherz lauter schlagen.
    Nach einer Woche klingelte Francesco bei uns. Das hatte er noch nie getan. Ich war auf meinem Zimmer, Vater kam aus
seinem Atelier und begrüßte ihn. Ich lauschte durch den Türspalt, meine Ohren, mein ganzer Kopf fühlten sich gefärbt an, und keine Farbe drückt so sehr wie Rot. Alessandro, kalćio?, fragte Francesco, und mein Vater antwortete: nein, nein.
    Am Tag seiner Abreise lehnte Francesco am Zaun, der Fuß auf dem Ball. Erwartete, dass ich aus der Schule kam, wartete auf ein letztes Elfmeterschießen. Ich war in die Straße gebogen, hatte ihn gesehen und mich versteckt. Wie ein Dieb drückte ich mich an eine Hauswand und nahm den Umweg durch die Pflaumengärten nach Hause. Ich lugte aus dem Küchenfenster: Schulkinder liefen an Francesco vorbei, ciao Francesco!, riefen sie, er passte ihnen lachend den Ball, ciao ragazzi! Ich ging auf mein Zimmer und setzte die Liste der Zauberfähigkeiten fort. Es klingelte an der Tür. Mutter rief meinen Namen. Ich dachte: etwas plündert mich aus. Ich schwieg.
    Du bist ja doch da, sagte sie, als ich am Abend mein Zimmer hungrig verließ. Auf dem Tisch lag ein Paket. Von dem Italiener, sagte Mutter, die Francesco seit kurzem nur noch nach seinem Staat nannte. Ich aß Bohnen, immer gab es Bohnen, wenn ich mich elend fühlte.
    Wäre ich Fähigkeitenzauberer, ich würde Limonade immer so schmecken lassen, wie am Abend, als mir Francesco erklärte, der italienische Mond sei verdientermaßen ein weiblicher Mond. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, könnten wir jeden Abend zwischen acht und neun Uhr alle Sprachen verstehen. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, würde jeder Staudamm der Welt halten, was er verspricht. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, gäbe es kvatromila Auswege aus jeder elenden Laune. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, wären wir wirklich mutig.
    Das Paket war recht schwer. Mein Name, und darunter: Francesco Bailo. Im Karton tönte es metallen. Bocce. Ich löste die Schnur und hob den Deckel. Oben lag ein Foto von dem großen Staudamm am Lago di Vajont. Ich werde niemals erfahren, ob Francescos papà der Ingenieur gewesen ist oder einer der Dorfbewohner.

    Mama, quanto costa un biglietto per Pisa?, fragte ich, und Mutter ging mit ihrer Nase an meinen Hals: mmh, junger Mann, Sie riechen aber gut.
    Ich weiß, sagte ich, denn ich wusste es wirklich, so gut, sagte ich, und blätterte im kleinen Wörterbuch. Ich zeigte mit der Fingerspitze auf »grazie«, zeigte mit der Fingerspitze auf »di«, zeigte mit der tränenfeuchten Fingerspitze auf »tutto«.
     
    Mio caro amico Alessandro,
    puoi dirti fortunato sein junge in so schöne stadt. Drina mache schöne auge jeden. Boden wachsen kirsche, pflaume und klar wasser per la limonata. Ich lasse walross boccia gewinnen. Euer staudamm jetzt niemals defekt. Dein papà e mamma e tu e tutto – sicher. Aber niemand arrivederci sagen. Also sage Francesco: arrivederci allora e a presto!
    Geschenke per te, mio caro mago: bocce, parfüm mit die zitrone, wörterbuch, azzuri trikot! e cartina di Višegrad. Ich zeichne! Deine haus e haus di alte gute Mirela! La vita, mio Alessandro, è solo questione di fortuna. Sich erinnern uns gut, bitte, und veranda und stille und dschungel mit hornotter und mit barocche mädchen unter la luna!
     
    Grazie quattromila!
Francesco

Warum Häuser mitfühlend und selbstlos sind, was sie musizieren und warum ich ihnen wünsche, dass sie mitfühlend und selbstlos bleiben, und vor allem fest
    H äuser sind mitfühlend und selbstlos und sie können kein Instrument spielen, das ist bedauerlich. Wären Häuser Menschen, wären sie Vegetarier oder Veganer oder Vgnr oder wahrscheinlich sogar nur Vg. Als Vg nimmst du nichts zu dir, was auch nur theoretisch einen Herzschlag haben könnte, also auch kein Wasser, weil für Indianer, das weiß ich von Opa, in so einem Amazonas ein ganzer Gott schwimmen kann oder zumindest ein ganzer Glaube.
    Wenn es in der Drina auch einen Gott geben würde, fragte ich einmal Opa, die Welse wären Fisch-Popen, oder?
    Oder Fisch-Hodschas,

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