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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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Hinterkopf. Mein Milan trägt wegen ihm einen serbischen Namen. Kiko blättert weiter. Ein Foto von ihm in einem Schützengraben, knöcheltief im trüben Wasser. Igman, hinter Gottes Füßen, sagt er und blättert um. Der mit dem grünen Barett, das ist Meho. Ein Wahnsinniger. Wahnsinnig, weil er ein zu großes Herz hatte. Und hier teile ich Zigaretten an die Gefangenen aus. Das sind Hanifa und ich in Mostar. Mein Milan nach der Geburt, dreieinhalb Kilo. Wir müssen mal die Fotos sortieren, sagt Kiko und blättert, und auf dem letzten ist ein Ball zu sehen, ein zerschlissener Fußball im hohen Gras.

     
    Ich steige in den 13-Uhr-Bus nach Višegrad. Drei andere Männer haben bereits Platz genommen, einer liest Zeitung, einer schläft, einer sieht mich an. Ich setze mich in die letzte Reihe, die Sitze sind braun und gelb gemustert, die Kopflehnen glänzen fettig. Es wird 13.00 Uhr. Es wird 13.05 Uhr. Vor der Tür raucht ein Mann mit lichtem Haar und Falten unter den Augen eine Zigarette, dann noch eine, nach der dritten steigt er ein und setzt sich ans Steuer. Kurz bevor der Motor anspringt, seufzt der Bus. Ich kann ihn verstehen, er hat es in seinem Alter nicht leicht auf diesen Straßen, ich schlafe, den Kopf am vibrierenden Fenster, ein.
    Die Drina weckt mich. Ich schlage die Augen auf, als der Bus in einer kleinen Ortschaft, deren Name mir nicht einfallen will, auf die Straße biegt, die parallel zum Fluss bis nach Višegrad führt. Zahlreiche Tunnels kappen immer wieder das Tageslicht, nur wenige sind beleuchtet. Ich ziehe auf die rechte Fensterseite um, links schichten sich klotzige Felsen auf, dünn bemoost und spärlich von abgezehrten Pflanzen bewachsen. Rechts: mein Fluss. Ich bestätige mir den Gedanken – mein Fluss, die warmgrüne Drina, gefasst und makellos sauber. Die Angler, die Klippen, die Abstufungen von Grün.
    Wir nähern uns der Stadt auf der kurvigen Straße, vorbei am Staudamm, in dessen Nähe Nester aus Treibholz und Plastik treiben. Das Tal weitet sich, gleich wird man die Brücke sehen können. Meister, kannst du hier mal halten, ruft ein junger Mann, der unterwegs zugestiegen sein muss, und der Bus ächzt.
    Als hinter einer engen Kurve der Blick auf die Brücke frei wird, bin ich überrascht, obwohl ich mir fest vorgenommen habe, alles so vorzufinden, wie es immer war. Dem Reflex, die Bögen zu zählen, widerstehe ich, sie ist komplett. Der Fahrer schiebt eine Kassette ein, und ich muss an Walross denken, und an mein Versprechen, niemals eine Kassette zu erschießen. Es läuft Madonna.
    Eh, Boris, alle Ehre, aber muss das jedes Mal sein?, fragt der Mann mit der Zeitung. Der Fahrer dreht lauter, like a virgin,
singt er und tippt mit den Fingern im Takt auf das Lenkrad.
    Der Busbahnhof kommt mir viel kleiner vor als früher, aber genauso schäbig. Boris steuert eine der fünf Parkinseln an, abseits parken vier heruntergekommene Busse, darunter – ich erkenne ihn sofort – der Centrotrans-Bus, mit dem Walross halb Jugoslawien befahren hat. Die Karosserie verwahrlost, der Rost fletscht die Zähne, graues Unkraut wuchert von innen durch die Fenster, belegt die Felgen. Ich steige als Letzter aus, wohin, junger Mann?, ruft Boris, aber ich tue, als sei ich nicht gemeint und betrete den kleinen Warteraum im Bahnhofsgebäude. Die Tür existiert nicht mehr, Uringeruch steigt mir in die Nase, der Ticketschalter ist verlassen, die Wandfarbe, etwas zwischen Beige und Gelb, blättert ab. Hallo?, rufe ich hinein, es hallt. Ich möchte Armin begrüßen, den Stationsvorsteher mit dem unbeherrschten Bein, er steht auf einer meiner Listen. Ist er überhaupt in der Stadt? War Armin Muslim?
    Wen suchst du? Boris steht hinter mir, raucht, eine Hand spielt mit dem Schlüssel in seiner Hosentasche.
    Armin, den Stationsvorsteher, sage ich und wende mich zum Gehen, aber Boris versperrt mir den Weg, nimmt einen Zug von seiner Zigarette und sagt: einen Armin hat es hier nie gegeben.
    Ach, sage ich, sehe an Boris vorbei, die anderen Passagiere sind schon verschwunden. Boris, ich und fünf Busse, davon vier kaputte mit rostigen Felgen, müssen das hier unter uns ausmachen.
    Wohin willst du?, fragt er und deutet mit der Zigarette auf meine Reisetasche.
    Wer Madonna hört, kann doch nicht gefährlich sein, geht mir durch den Kopf, und ich sage so beiläufig wie möglich: ach, ich besuche meine Großmutter.
    Boris runzelt die Stirn, hält die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, wenn er einen Zug nimmt. Wie heißt

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