Wie der Soldat das Grammofon repariert
in der Nachspielzeit, vielleicht, schob Mikimaus die Unterlippe vor, geht hier noch was.
Seine Worte richteten die serbische Abwehr auf, das serbische Mittelfeld erhob sich, und der serbische Sturm goss Pflaumenschnaps, nicht auf die schmerzende Mohammed-Ali-Faust, sondern in die eigene Kehle, in einer Menge, dass Dino Zoff sehnsüchtige Augen machte.
Mikimaus räumte hinten alleine ab, der Rest stürmte. Der neue Schiedsrichter Gavro zeigte acht Minuten Nachspielzeit an. Die Territorialen verteidigten mit zehn Mann und droschen jeden Ball in die serbische Hälfte. Nicht zu fest, die Minen. Die Bälle kamen prompt wieder, Mikimaus haute sie stur lang und hoch in die Spitze zurück. In der letzten Minute kamen die Territorialen zu einem Konter, Kiko scheiterte an Mikimaus, der jetzt überall zu finden war, auch im Tor. Mikimaus’ Antwort folgte umgehend, denn Mikimaus hatte zu
antworten gelernt. Er schnappte sich den Ball und dribbelte durch die Reihen der Territorialen, als wäre er nicht mit Mistgabeln, sondern mit Maradona aufgewachsen. Die Adern an seinem Hals traten hervor, er presste die Lippen zusammen, rannte zwei bosniakische Verteidiger einfach um und drosch aus gut dreißig Metern die Kugel auf Dino Zoffs Tor. Alles an Kraft steckte der riesenhafte Mann in diesen einen Schuss, sein Aufschrei danach ließ dutzende Vögel aus dem Wald aufstieben. Und der Ball, dieser schmutzige, notdürftig geflickte Ball, strich über die Lichtung auf Dino Zoffs Tor.
Um 17.55 Uhr pfiff Gavro ab. Mikimaus’ Schuss war die letzte Aktion. Die Spieler ließen sich erschöpft ins Gras fallen. Der Pfiff verhallte. Niemand klatschte. Niemand jubelte. Aus dem Tal schwappte schwere Stille auf das Plateau. Ruhig wurden die Waffen aufgehoben. Marko hielt die Schnapsflasche schräg über Dino Zoffs Mund, bis einige Tropfen die Lippen benetzten, sich dort mit dem Blut mischten.
Aah, Sliwowitzum bonum deorum donum! Hab ich ihn gehabt?, lispelte Dino Zoff und schenkte Marko einen Zahn. Die Sonne warf lange Baumschatten auf die Lichtung hinter Gottes Füßen, hinter Gottes Füßen in Soldatenstiefeln, hinter Gottes Füßen, an denen Blasen trieben, hinter Gottes dribbelnden Füßen.
Ich habe Listen gemacht
I n einem Hof zwischen Wolkenkratzern an der Peripherie von Sarajevo schnurrt mir eine Katze mit aufgerichtetem Schwanz um die Beine. Mit dem Rücken zu mir macht sich ein junger Mann bereit. Er zieht die Jacke aus. Er dehnt sich. Es dauert, er ist nicht der schnellste. Ein Ball liegt neben ihm. Die Katze sieht mich an. Die Katze leckt ihre Pfote. Der Mann wirft den Ball in die Luft. Der Ball landet auf seiner Stirn. Und landet auf seiner Stirn. Und landet auf seiner Stirn, vier, fünf, er hat die Arme angewickelt und zieht jedes Mal, sieben, acht, den Kopf ein, wenn der Ball landet, elf, zwölf. Ein großer, kahl geschorener, bosnischer Kopf boxt, dreizehn, den Ball in die Höhe, lässt ihn, vierzehn, auf dem flachen Hinterkopf kurz zu Atem kommen, fünfzehn, sechzehn, im Nacken eine Narbe. Neunzehn, zwanzig wiederkehrende Bewegungen des Oberkörpers, dreiundzwanzig, vierundzwanzig Aufsetzer, die Katze miaut, die Krücken des Mannes schleifen über den Beton, der Muezzin beginnt bei dreißig, einunddreißig zu singen. Minimal bewegt der Mann den Oberkörper, bevor er den Ball annimmt, fünfunddreißig, sechsunddreißig, das Gesicht brauche ich nicht zu sehen, um zu wissen, dass ich ihn gefunden habe, achtunddreißig, neununddreißig, die Krücken schaben über den Asphalt, vierundvierzig, fünfundvierzig. Wäre ich Fähigkeitenzauberer gewesen, hätte ich dem Sommertag, als Edin und ich auf ihn wartend auf dem Schulhof schwitzten und der Schweiß auf den Asphalt fiel und der Asphalt in der Sonne schmolz, ich hätte dem Tag die Fähigkeit genommen, vorbeizugehen, siebenundvierzig, achtundvierzig, und dem Mädchen auf dem Fahrrad hätte ich das Gleichgewicht einer Zirkusakrobatin gegeben. Kiko auf Krücken,
Kiko im weißen Hemd und Jeans, am linken Bein unter dem Stumpf zusammengebunden, Kiko – die Neun, Kiko der Eisenschädel von der weichen Drina, fünfzig, einundfünfzig …
In Kikos kleiner Wohnung im vierzehnten Stock trinken wir Kaffee, den uns seine Frau Hanifa auf geblümten Untertassen serviert. Keine gehäkelten Tischdeckchen, kein buntes Sofa vor dem Fernseher, kein Fernseher, keine laut tickende Uhr zu hören, wenn geschwiegen wird. Eine schlicht eingerichtete, helle Wohnung mit Parkettboden und Möbeln aus
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