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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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Kirschholz.
    Ja, sagt Kiko, mein letztes Spiel als Profi. Ich habe gesagt, ich schieße drei Stück, alle mit meinem Linken. Der Typ hat den vierten reingelassen, damit er die Wette gewinnt, dabei wollte ich nur flanken. Habe ich ihm also noch drei reingezimmert. Die sind anschließend auf einen Abstiegsplatz gerutscht. Aber abgestiegen ist in dem Jahr keiner. Das Land ist abgestiegen. Fußball war egal.
    Dann brach der Krieg aus, und Hanifa floh nach Österreich und studierte Design.
    Dann brach der Krieg aus und der Torwart, gegen den Kiko gewettet hatte, saß in der türkischen zweiten Liga auf der Bank. Er wurde einmal eingewechselt, als sich die Nummer Eins verletzte, und hielt in der Nachspielzeit einen Elfmeter.
    Dann brach der Krieg aus und ein sehr populärer Volkssänger gab ein Konzert für die Soldaten, die Verwundeten und die Politiker. Man verlangte Eintritt, und die Verwundeten sagten später, das sei ein Scheißkonzert gewesen: nachdem sie den Eintritt bezahlt hätten, sei vom Geld nichts für das Bier übrig geblieben, und von den Politikern ließen sie sich bestimmt nicht einladen.
    Kikos Sohn Milan setzt sich zu mir und zeigt mir einen sehr großen Popel. Hastdu Schokolade?, fragt er.
    Gehst du in den Kindergarten?, frage ich ihn.
    Hanifa war die Erste, die ich in Sarajevo angesprochen habe,
und die Erste überhaupt, die ich geküsst habe, sagt Kiko und geht nach nebenan, Fotos von dem Kuss holen.
    Ich werde auch die Letzte sein, verstanden?, ruft sie ihm hinterher.
    Nicht, wenn uns das nächste eine Tochter wird!, antwortet Kiko und bringt die Fotoalben. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Dachte, ich könnte es so hinbiegen, dass ich in der Stadt bleibe. Zwei Jahre gings gut. Dann wurde ich auf den Igman geschickt. Man hat uns gesagt: vom Igman hängt das Schicksal Sarajevos ab. Den Ball hatte ich immer dabei. Immer.
    Hastdu Bombons?
    Kiko legt das Album vor mir auf den Tisch und geht neben Hanifa in eine Art Hocke, was mit einem Bein grotesk aussieht – ich denke wirklich: grotesk, obwohl ich gleichzeitig denke, so einen Gedanken nicht zulassen zu dürfen.
    Dann brach der Krieg aus und niemand nannte ihn Krieg. Das, sagte man. Oder Scheiße. Oder Gleichvorbei, als würde man einem Kind den Anblick einer Spritze erleichtern wollen. Zu Hanifa sagte Kiko: geh du, und sie sagte: ich komme zurück, wenn das vorbei ist. Hoffentlich ist die Scheiße gleich vorbei, dachte sich Kiko und wurde auf den Igman beordert.
    Da oben war ich also, in der schlimmsten Vukojebina, die man sich vorstellen kann. Kiko zeigt mir im Fotoalbum die schöne Hanifa auf dem Rücksitz eines Mofas. Vorne sitzt er selbst, ohne Helm. Das war im Herbst einundneunzig, sagt er. Mein Mofa! Mein Glück!
    Er blättert um. Milan quengelt, reibt sich die Augen.
    Hanifa sagt: ich habe ein bisschen Deutsch gelernt, in den drei Jahren Graz. Aber Vukojebina könnte ich nicht übersetzen. Kennst du Vukojebina?
    Wo Wölfe … miteinander …, sage ich vorsichtig mit dem Blick auf Milan.
    Hinter Gottes Füßen, ruft Kiko dazwischen, ich habe gesehen, wie sich da ein Pferd in eine Schlucht gestürzt hat, weil es keine Kraft mehr hatte, unsere Artillerie den Berg hinab-,
hinaufzuschleppen, über Wege, die keine Wege sind. Umgebracht hat es sich … Kiko blättert gedankenverloren um. Man sieht ihn neben einem Riesen von einem Mann stehen. Der Riese trägt eine Latzhose und eine Mütze, die auf seinem massigen Kopf verloren wirkt. Sie sind beide bewaffnet. Kiko trägt eine Lilie der bosniakischen Armee an der Brusttasche, der große Mann die Kokarde mit dem serbischen Doppeladler an der Mütze. Sie haben einander den Arm über die Schulter gelegt und sehen verbissen geradeaus. Verbissen türmen sich auch die kargen Felsen hinter ihnen auf.
    Wer ist das?, fragt Kiko seinen Sohn und zeigt auf die Latzhose. Der Kleine steckt sich die halbe Faust in den Mund. Milan, wer ist das?, wiederholt Kiko.
    Čika Mikimaus!, jauchzt Milan wie über jemanden, der immer, wenn er vorbeikommt, Schokolade und Bonbons mitbringt, und Hanifa sagt: Vukojebina, das kann man eigentlich nicht übersetzen.
    Soll man auch nicht. Kiko nimmt Milan auf den Schoß. Einen solchen Ort darf keine andere Sprache als unsere beschreiben können, sagt er.
    Der Soldat neben Kiko hat den Mund geöffnet, als schnappe er nach Luft. Wie kam es zu dem Foto?, frage ich.
    Eine Waffenruhe. Das neben mir, das ist Milan Jevrić, sagt Kiko, und sein Sohn ruft: Mikimaus! Kiko küsst ihn auf den

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