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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Bilen
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winden.«
    »Ich habe euch vermisst.«
    »Wie bitte?«
    »Ich habe eure vorgetäuschten Streitereien vermisst.«
    Lauren legt den Arm um mich und drückt zu. »Du hast uns ebenfalls gefehlt.«
    Mit der Halbzeit sind wir fertig. Sonst würde ich mich mit Mom auf den Weg machen, sobald die Marschkapelle ihre Halbzeitshow hinter sich hat. Meistens ist sie während der ersten Hälfte des Spiels da, damit sie mich spielen sieht. Wie die Sache auf dem Feld ausgeht, will eigentlich keiner von uns wissen. Doch diesmal habe ich durchaus Interesse daran. Oder besser gesagt: Ich möchte sehen, ob Alex einen weiteren Touchdown schafft. Ich frage mich auch, ob er eine kleine Pause bekommt, in der er den blöden Helm abnimmt, damit ich sein Gesicht sehen kann. Deshalb bleibe ich noch ein paar Minuten. Mein Vater und ich haben nicht darüber gesprochen, wann er kommen und mich abholen soll. Ich schätze, ich rufe ihn an, wenn das Spiel zu Ende ist. Oder vielleicht brauche ich ihn gar nicht anzurufen. Vielleicht bringt mich Alex nach Hause. Bei dieser Vorstellung fliegen Schmetterlinge in meinem Bauch umher.
    Einundzwanzig zu vierundzwanzig. Wir liegen zurück. Alex läuft mit dem Ball, und plötzlich scheint sich die halbe gegnerische Mannschaft auf ihn zu stürzen. Mein Handy vibriert. Ich erstarre. Mom! Es ist kurz nach der Halbzeit – wir können fast zur gleichen Zeit fahren wie sonst, aber diesmal geht es nicht nach Hause.
    Ich hole mein Handy hervor und sehe aufs Display. Dad.
    »Hallo?« Ich versuche, so zu klingen, als würde ich mich über seinen Anruf freuen.
    »Wo zum Teufel steckst du? Seit zwanzig Minuten warte ich auf diesem gottverdammten Parkplatz. Wie lange dauert es, eine Klarinette wegzulegen?« Lauren gibt sich alle Mühe, nicht hinzuhören, aber sie kann das Geschrei meines Vaters kaum überhören. Ihre Augen werden richtig groß.
    »Entschuldige. Ich bin gleich da.«
    »Dein Dad?«, fragt Lauren, als ich aufgelegt habe.
    »Ja.«
    »Wieso holt deine Mutter dich nicht ab?«
    »Sie ist beruflich unterwegs.«
    »Oh. Dein Vater klang ziemlich sauer. Soll ich dich begleiten?«
    »Nein, schon gut.« Ich stehe auf und winke, als wäre die Sache nicht weiter wild.
    Lauren kauft es mir nicht ab. »Du kannst zurückrufen und ihm sagen, dass Jay und ich dich nach dem Spiel nach Hause bringen.«
    »Im Ernst, mach dir keine Sorgen.« Das hätte meinen Vater erst so richtig auf die Palme gebracht.
    Ich eile zum Truck und habe kaum die Beifahrertür geschlossen, als Dad auch schon mit quietschenden Reifen losfährt. Ich fummle mit dem Sicherheitsgurt herum.
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich, äh, habe mir das Spiel angesehen.«
    Mein Vater wird beim Stoppschild nur etwas langsamer, biegt vom Parkplatz nach rechts ab und tritt voll aufs Gas. Er fährt so schnell, dass mir Alex im Vergleich dazu wie ein Kinderzug im Zoo erscheint. Bei jedem Schlagloch fürchte ich, dass wir ins Schleudern geraten, durch die Luft fliegen und auf dem Dach landen.
    »Du hast dir das Spiel angesehen? Glaubst du etwa, ich warte die ganze Zeit auf dich? Ich habe Wichtigeres zu erledigen.«
    Meine Lippen sind wie gelähmt. Ich bringe keinen Ton hervor.
    »Na?«, schreit Dad und sieht mich wütend an.
    »Entschuldige«, sage ich leise und sehe nach unten.
    »Was? Ich kann dich nicht hören.« Die rechten Räder des Trucks wühlen sich durch den unbefestigten Seitenstreifen. Dad reißt das Lenkrad herum und bringt uns auf die Straße zurück. Das Heck schlingert.
    Es ist so weit. Wir werden sterben. Ich kneife die Augen zu. »Entschuldigung!«, rufe ich.
    Er wird etwas langsamer und bringt den Truck wieder einigermaßen unter Kontrolle. »Eine Entschuldigung reicht nicht«, wütet er und gibt wieder Gas. »Ich will nicht auf dich warten. Nie! Hast du verstanden?«
    »Ja«, sage ich laut und mit Tränen in den Augen. Bitte, Gott, lass mich diese Fahrt lebend überstehen! In dem Buch Was alles passieren kann schildert ein Abschnitt die Möglichkeiten, einen fahrenden Wagen zu verlassen. Ich denke daran, die Tür zu öffnen und mich draußen abzurollen. Ich möchte überall sein, nur nicht hier bei meinem Vater. Aber so einfach ist das nicht. Wenn ich überlebe, wird mich mein Vater wieder in den Truck zerren. Dann wäre er noch wütender und führe noch schneller.
    Er schüttelt eine Zigarette aus dem Päckchen auf der Sitzbank und zündet sie an. Dann öffnet er das Seitenfenster eine Handbreit. Luft faucht wie ein Tornado herein, aber trotzdem füllt

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