Wie der Vater so der Tod
sich das Innere des Trucks sofort mit Zigarettengestank. Ich möchte husten. Mich übergeben. Ihm die Zigarette aus den Fingern reißen und sie an der Windschutzscheibe zerdrücken. Stattdessen sitze ich da und nehme es hin. Wie immer.
Dad wechselt das Thema – das Geschrei über meine Verspätung scheint nur die Einleitung gewesen zu sein. »Es hat Folgen, wenn du deine Aufgaben nicht erledigst«, sagt er. »Matt hat das Holz im Keller nicht gestapelt, und deshalb durfte er nicht zum Tanz des Absolvententreffens. Ende der Geschichte. Er wusste, dass ich ihn bestrafen würde. Er wusste es! Oder?«
»Ja«, erwidere ich mühsam. »Das wusste er natürlich.«
»Ich habe ihm einen Gefallen getan. Dieses Mädchen war nicht gut genug für ihn.«
Um genau zu sein – sie war klug, beliebt und süß. »Nein, das war sie nicht.«
Als wir schließlich zu Hause sind, habe ich das Gefühl, seit Stunden im Truck zu sitzen, obwohl es in Wirklichkeit nur Minuten sind. Mein Vater fährt vor die Veranda und hält an.
»Na, worauf wartest du? Steig aus!«
Meine Hände zittern, als ich nach dem Türgriff suche. Ich springe hinaus und habe die Tür kaum geschlossen, als mein Vater wieder aufs Gas steigt und der Truck über die Zufahrt davondonnert. Ich sacke in mich zusammen. Ich möchte nach Hause, nach Hause. Aber natürlich bin ich zu Hause. Allerdings ist es nicht mehr das Zuhause, das es einmal war.
[1] Der Fänger im Roggen von J. D. Salinger.
8
Samstag
Es gibt Abende, an denen ich wegen irgendetwas aufgeregt war, und wenn ich dann im Bett lag, konnte ich einfach nicht einschlafen, weil mir pausenlos Gedanken durch den Kopf gingen. Wenn ich Angst hatte, konnte es auch genau andersherum sein. Seit dem Verschwinden meiner Mutter liege ich jeden Abend wach und mache mir Sorgen. Über Mom. Über Dad. Über Matt. Über mich.
Aber gestern Abend war es anders. Gestern Abend habe ich mir die Decke über den Kopf gezogen und wie in einer Höhle gelegen. Wie bei einem schnellen Rücklauf bin ich zur vergangenen Woche zurückgekehrt, als alles noch normal war, in gewisser Weise, und habe dann auf Pause gedrückt. Ich habe geschlafen und geschlafen und bin nicht einmal auf die Toilette gegangen, als ich musste, denn mir war klar: Meine Traumwelt hätte sich in dem Augenblick aufgelöst, in dem meine nackten Füße den Boden berührt hätten.
»Was zum Teufel machst du noch im Bett?« Die Stimme meines Vaters reißt mich aus dem Schlaf.
Ich sehe auf die Uhr. Es ist sieben.
»Der halbe Tag ist bereits vorbei.« Will heißen: Steh auf und mach im Haus sauber.
Ich gehe zur Wäschekammer und versuche, nicht an den Geruch von bratendem Schinken zu denken, der durchs Haus wehen würde, wenn meine Mutter hier wäre. Oder an ihr perfekt geschminktes Gesicht: violetter Lidschatten und Apfelblütenrouge. Mein Vater will, dass sie auch samstags geschminkt ist, obwohl sie das Haus nicht verlässt.
Ich nehme die Reinigungssachen: Spray für die Möbel, Pulver fürs Spülbecken, blaue Flüssigkeit für die Toilette, Glasreiniger für die Spiegel, zwei Tischtücher, zwei Handtücher und eine Papierrolle. Noch immer im Schlafanzug, besprühe ich den Spiegel in meinem Badezimmer und wische ihn mit einem Papiertuch sauber. Ich denke daran, wie schwer es war, diesen Spiegel sauber zu kriegen, als ich das Bad noch mit Matt teilte. Beim Reinigen der Zähne mit Zahnseide schaffte er es immer wieder, winzige Essensbrocken an den Spiegel zu spritzen. Es fiel mir schwer, sie abzureiben, und mehr als einmal bin ich deshalb an die Decke gegangen. Jetzt fehlt mir der gewohnte Anblick. Während ich sauber mache, stelle ich mir vor, womit meine Mutter gerade beschäftigt sein könnte.
Inzwischen hat sie bestimmt eine neue Stadt für uns gefunden. Es muss ein Ort sein, der mehr als nur eine Ampel hat. Vielleicht sogar mit einem Starbucks . Wahrscheinlich wohnt sie noch in irgendeinem beschissenen Hotel und sucht eine Wohnung für uns. Vielleicht sitzt sie gerade an einem Hoteltisch, geht die Anzeigen in einer Zeitung durch, markiert sie mit einem Stift und ruft die angegebenen Nummern an.
Ich streue das weiße Reinigungspulver in die Wanne, drehe den Hahn auf und wische mit dem Tuch. Wie lange mag es noch dauern, bis meine Mutter kommt und mich holt? Einen Tag, um dorthin zu fahren (wo auch immer dorthin ist), vielleicht zwei oder drei Tage, um einen Job zu finden, noch einmal zwei Tage für die Suche nach einem Apartment und einen weiteren für die
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