Wie der Vater so der Tod
denn, Dad kommt vorher nach Hause.
»Ich mache gerade den Dachboden sauber.« Was ich inzwischen für einen verrückten Einfall halte. Hier finde ich bestimmt nichts.
»Okay, ja, gute Idee. Ich könnte dir dabei helfen.«
Ich öffne einen Karton mit alter Babykleidung. Hauptsächlich rosa. Einige wenige violette Teile. Größe: sechs Monate, zwölf Monate, bis zu zwei Jahren. Ich versuche gar nicht erst, mich daran zu erinnern, ob ich diese Sachen jemals getragen habe. Warum in aller Welt liegen sie noch auf dem Dachboden? Ganz unten in diesem Karton finde ich sogar noch einige Flaschen. Eine von ihnen enthält zusammengerolltes Papier. Seit wann braucht man eine Bedienungsanleitung für eine Babyflasche? Ich löse die Kappe und ziehe das Papier heraus.
Es ist eine Kreditkartenabrechnung. Nur mit dem Namen meiner Mutter drauf. Und sie liegt erst wenige Tage zurück.
»Äh, Alex? Ich muss Schluss machen.«
Ich lege auf und weiß nicht einmal, ob ich mich von ihm verabschiedet habe. Dann rufe ich die Kreditkartengesellschaft an. Die Flugtickets sind mit dieser Karte bezahlt worden.
Und seit Montag wurde nichts mehr abgebucht.
Alex kommt pünktlich um halb sieben. Das unterbrochene Telefongespräch lässt er unerwähnt. Er ist frisch geduscht und riecht nach Moschus. Ich bin fix und fertig. Den ganzen Nachmittag habe ich mir vorgestellt, was mit meiner Mutter passiert sein könnte, und ich schätze, man sieht mir mein Entsetzen an.
»Die sind für dich.« Er überreicht mir einen Strauß roter Rosen. Ein Dutzend. Himmel, er meint es wirklich ernst.
Fast hätte ich ihm gesagt, dass er ohne mich zu der Party fahren soll, dass ich nicht in der richtigen Stimmung bin. Aber ich will auch nicht hier sein, wenn mein Vater zurückkehrt. Wo steckt er? Hat er herausgefunden, wo sich meine Mutter aufhält?
Alex freut sich offensichtlich sehr, mich zu sehen. »Danke, sie sind wunderschön«, sage ich deshalb. »Ich stelle sie in eine Vase. Komm rein!«
Ich hole eine Vase aus der Abstellkammer und trage die Blumen in mein Zimmer, in der Hoffnung, dass Dad sie nicht sofort bemerkt. Dann lege ich einen Zettel für ihn auf den Küchentisch, auf dem geschrieben steht, dass ich mit Lauren ausgegangen bin.
»Wieso sind deine Eltern nicht zu Hause?«, fragt Alex, als wir fahren.
»Mein Vater ist vermutlich bei einem Freund, und meine Mutter …« Ein silberner Wagen fährt vorbei, und ich sehe genauer hin, um festzustellen, ob Mom am Steuer sitzt. »Sie ist unterwegs.«
»Beruflich?«
»Mhm.«
»Wohin ist sie gefahren?«
Ich drehe meinen Pferdeschwanz. »Das war ein guter Touchdown bei dem Spiel.«
»Du hast ihn bemerkt! Ich bin platt. Ich dachte, du hältst nichts von Football.« Er lächelt, und sein ganzes Gesicht hellt sich dabei auf. Mein Herz klopft rascher.
»Es ist nicht so übel, wie ich dachte.«
Wir biegen in Nicks Zufahrt ein. Mindestens fünfundzwanzig Wagen sind schon geparkt, nicht besonders ordentlich. Alex springt raus und hält mir die Tür auf.
»Bist heute ganz der Gentleman, wie?«
»Warte nur bis zum Absolvententanz«, erwidert er geheimnisvoll und zwinkert.
Absolvententanz? Ich stelle mir Alex total herausgeputzt vor, und dabei werden mir die Knie weich. Natürlich wohnst du dann längst woanders, Sara. »Das werde ich mir merken.«
Die kleinen Finger ineinander gehakt, gehen wir zur Verandatür.
Der Besitz der Russels ist nicht so groß wie unserer – nur etwa zehn Morgen –, aber groß genug, damit die laute Musik keine Nachbarn stört.
Wir treten ein. Überall herrscht dichtes Gedränge. Ich tippe auf vier Personen für jeden draußen geparkten Wagen. Nichts scheint Alex aus der Ruhe zu bringen. In der Mitte des Wohnzimmers steht ein Fass. »Möchtest du ein Bier?«, fragt er.
Ich habe noch nie Bier getrunken. Ich habe mich immer an die Regeln gehalten, bin immer die Brave gewesen.
»Oder auch nicht«, fügt er hinzu. »Für mich spielt es keine Rolle. Wenn du lieber Limo möchtest … Bestimmt kann ich welche auftreiben.«
Wenn ich trinke, kann ich vielleicht vergessen, wie vermurkst mein Leben ist. Zumindest für eine Weile.
Alex verschwindet in der Menge, und ich nutze die Gelegenheit, mein Handy hervorzuholen und nachzusehen, ob Mitteilungen eingetroffen sind. Aber ich weiß, dass sich heiß Ersehntes nur dann erfüllt, wenn man nicht daran denkt, wenn man es vorübergehend vergisst. Vielleicht ruft meine Mutter an, wenn es mir gelingt, eine Stunde nicht an sie zu denken.
Alex
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