Wie der Vater so der Tod
höre den Schmerz.
»Ja.« Ich weise nicht darauf hin, dass Zach mein Ersatzbruder ist und dass der Kinobesuch zu unseren Ritualen gehört. Ich sage nichts davon, weil ich diesen Ort verlassen werde, und jeder weiß: Wenn man nicht von der falschen Person gefunden werden möchte, darf man nicht einmal der richtigen sagen, wohin man geht. Ich verschwinde mit meiner Mutter, sobald ich sie gefunden habe, und Alex darf nicht nach mir suchen.
»Soll das heißen, es spielt überhaupt keine Rolle, was in den letzten Tagen zwischen uns gewesen ist?« Seine Stimme schwankt, und mir bricht das Herz.
Es hat alles für mich bedeutet. »Darauf läuft es wohl hinaus«, sage ich und unterbreche die Verbindung, bevor ich es mir anders überlege.
Zach und ich besuchen das Kino in Brookton. Ich achte kaum auf den Film. Der Bankier und FBI -Agent hat eindeutig was, aber mir bleibt unklar, worum es überhaupt geht. Bilder flackern vor mir, doch ich sehe sie kaum, weil vor meinem inneren Auge andere Bilder entstehen. Ich selbst, im Alter von sechs Jahren, mit einem Wurm in der einen Hand und einer Angelrute in der anderen, neben meinem Vater. Matt, meine Eltern und ich, wie wir am Labor Day über die Mackinac-Brücke gehen. Matt und ich mit Snowboards bei Boyne. Matts Beerdigung. Meine weinende Mutter. Mein Vater, der schon herumläuft und in irgendwelchen Ecken mit nicht existierenden Leuten redet. Seine Logbücher.
Der Nachspann läuft.
»Ich … äh … muss kurz zum Eisenwarenladen«, sage ich und stehe auf. »Wenn du mich dort absetzen könntest … Wir treffen uns später bei Zelda’s Diner .«
»Absetzen? Ich warte auf dich. Aber ist der Laden nicht geschlossen?«
Ich sehe mich bei den anderen Kinobesuchern nach eventuellen Spionen meines Vaters um. »Ja, ich möchte dort nach etwas suchen.« Ich räuspere mich.
Zach hebt die Brauen, bleibt aber still, bis wir im Wagen sitzen.
»Wonach willst du suchen?«
»Nach den Logbüchern meines Vaters. Ich muss wissen, ob er etwas über meine Mutter geschrieben hat. Hör mal, Zach, ich möchte dich nicht in diese Sache hineinziehen. Ich hätte dir nichts darüber erzählen sollen.«
»Keine Sorge. Ich bin gern bereit, dir zu helfen.«
»Aber wenn mein Dad herausfindet, dass wir in seinem Laden gewesen sind … Ich sollte besser allein gehen.«
»Ich komme mit. Lass es mich erledigen, Sara. Für Matt war ich nicht da, aber für dich kann ich da sein.«
»Wegen Matt hast du dir nichts vorzuwerfen. Er hat seine eigene Entscheidung getroffen.«
»Hältst du es vielleicht für okay, dass du dir Vorwürfe machst?«
»Ich versuche ja, es nicht zu tun.«
»Und ich komme mit.«
Der Eisenwarenladen befindet sich ebenfalls in Brookton, auf halbem Weg zwischen dem Einkaufszentrum und der ersten Farm am Stadtrand. Nicht unbedingt die beste Lage (das wäre der Bereich zwischen dem EKZ und Pizza Hut), aber sie könnte ungünstiger sein. Für unser Vorhaben – praktisch ein Einbruch – liegt der Laden ideal.
Das heißt, wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es eigentlich kein Einbruch. Der Schlüssel hängt an meinem Schlüsselanhänger – bei der Übernahme des Geschäfts hat Dad uns allen Schlüssel gegeben. Und ich kenne auch den Code der Alarmanlage. Hoffe ich jedenfalls.
Bevor wir den Laden betreten, muss ich noch etwas erledigen. »Was dagegen, wenn ich vorher ein bisschen im Müll wühle?«
Zach kneift die Augen zusammen und hebt die Schultern. »Wenn du dir davon was versprichst …«
Ich führe ihn hinter den Laden und spähe dort in den Müllbehälter. »Toll.« Ich stöhne. »Scheint vor kurzer Zeit geleert worden zu sein.«
»Ist das ein Problem?«
»Und ob – der Beutel, um den es mir geht, liegt ganz unten. Ich muss hineinklettern.«
»Das übernehme ich«, sagt Zach.
»Nein, ich mach’s selbst«, beharre ich. »Hältst du meine Handtasche?«
Zach rollt mit den Augen und hält sie so weit wie möglich vom Körper entfernt.
Ich ziehe mich hoch, bis ich die Kante des Müllbehälters an den Hüften habe, beuge mich dann hinein und stelle mir vor, an einem Klettergerüst zu hangeln. Der Gestank von verfaulendem Thunfisch erinnert mich deutlich daran, dass ich hier nicht im Sportunterricht bin. Ich schwinge die Beine über den Rand, lasse mich fallen und lande auf etwas Weichem. Die Beutel haben alle einen doppelten Knoten, das Markenzeichen meines Vaters. Ich versuche, den ersten Knoten zu lösen, verliere aber schnell die Geduld, reiße den Beutel einfach
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