Wie der Vater so der Tod
schlägt wie wild. Niemand betritt das Esszimmer. Es ist Sperrgebiet, wegen Matt. Das wissen wir alle. Und wir alle respektieren diese unausgesprochene Regel. Doch dort sitzt mein Vater am Tisch und isst, als wäre überhaupt nichts geschehen.
Der Instinkt fordert mich auf, auf der Stelle wegzulaufen. Stattdessen nähere ich mich dem Esszimmer, ohne einzutreten. Zach bleibt neben mir stehen.
»Die Schule hat angerufen und mir mitgeteilt, dass du dich auf und davon gemacht hast«, sagt Dad ungezwungen. »Nicht zum ersten Mal.«
»Wir haben Moms Wagen gefunden«, sage ich vorwurfsvoll.
Mein Vater schiebt den Stuhl zurück, steht auf und kommt mit ruhigen Schritten näher.
Zach ballt die Faust.
Etwas glänzt in Dads Hand. Der Anblick genügt, und ich zittere am ganzen Leib. Eine Waffe.
Die Waffe, mit der sich Matt erschossen hat.
Zach zögert. Mein Vater nicht. Er rammt die Waffe gegen Zachs Kopf, und Zach geht zu Boden.
Ich hole mit dem Rucksack aus, aber Dad fängt ihn ab, packt mein Handgelenk und zwingt mich neben Zach auf die Knie.
Zach rührt sich nicht, und sein Gesicht ist ohne jeden Ausdruck, glatt und makellos. So hätte mein Bruder aussehen sollen, als er starb. Ruhig. Friedlich. Wunderschön.
Ich küsse die Lider, wie ich es gern bei Matt getan hätte. Bitte, Gott, lass ihn am Leben! Ich drücke mein Gesicht an seine Wangen und fühle die weiche, kalte Haut. Warmer Atem streicht mir übers Ohr. Danke, Gott.
Dad zerrt mich auf die Beine. Ich stoße mit dem Kopf gegen die Wand, und ein Bild fällt zu Boden – der Rahmen bricht. »Pack seine Sachen!«, sagt er. »Nachdem Matt mit den Theaterproben aufgehört hat, können wir endlich in Urlaub fahren.« Er deutet in Richtung von Matts Zimmer.
»Wir müssen einen Krankenwagen rufen.« Es rauscht mir so laut in den Ohren, dass ich die eigene Stimme kaum höre.
»Mach dir keine Sorgen um ihn.«
Dad winkt mit der Waffe und folgt mir in Matts Zimmer.
Dies kann unmöglich geschehen. Dies ist mein Vater, der Vater, der mir Sam geschenkt und mich Engel genannt hat. Der mich zum Radfahren, Angeln und Reiten mitgenommen hat, mit dem ich mir Züge und die Freiheitsstatue angesehen habe.
»Pack seine Sachen!«
Warum bin ich nicht an jenem Tag gegangen, als ich beim Dairy Dream vergeblich auf meine Mutter gewartet habe? Ich wollte daran glauben, dass sie noch lebt, selbst dann noch, als es längst keinen Sinn mehr ergab. Es tut mir leid, Zach. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Sache verwickelt habe.
Dad setzt sich auf Matts Bett und beobachtet mich geduldig. Wer ist dieser Mann?
Ich öffne die Schubladen von Matts Kommode. Alles liegt ganz ordentlich da, zu ordentlich. Ich bin den Tränen nahe, als ich einige Sachen herausnehme, die ich am Montagabend für mich selbst eingepackt habe: Unterwäsche, Socken, Jeans, mehrere T -Shirts und ein Sweatshirt. Nur eins, denn wohin die Reise auch geht und was wir auch vorhaben, es kann nicht lange dauern.
Dann gehe ich in mein Badezimmer, in das Bad, das ich früher mit Matt geteilt habe, und suche dort eine Zahnbürste. In der Schublade liegt eine, die Mom vor Matts Tod für ihn gekauft hat. Eine rote – seine Farbe.
Mit Matts Reisetasche kehre ich ins Wohnzimmer zurück und stelle sie dort auf den Boden.
»Und jetzt pack deine Sachen!«, sagt mein Vater freundlich. Er scheint guter Stimmung zu sein, trotz der Waffe in seiner Hand. Er folgt mir in mein Zimmer.
Ich habe meine Tasche schon teilweise gepackt, als Vorbereitung für Moms Rückkehr. Jetzt ziehe ich sie unter dem Bett hervor und lege wie auf Autopilot geschaltet den Rest hinein, darunter auch Sam. Dad scheint sich nicht daran zu erinnern, dass er Sam in den Müll geworfen hat. Ich strecke die Hand nach dem Kugelschreiber auf meinem Schreibtisch aus.
»Nein. Dies ist ein Urlaub ohne Hausaufgaben.«
»Toll. Dann nehme ich den Kugelschreiber für Kreuzworträtsel mit. Was soll sonst noch in die Reisetasche? Wohin fahren wir?«
Dad lacht und schüttelt den Kopf, als hätte ich ihm gerade den besten Witz aller Zeiten erzählt.
»Du kannst Kreuzworträtsel nicht ausstehen.« Plötzlich verliert sein Gesicht die Farbe, und er hört auf zu lachen. Matt war derjenige von uns, dem Kreuzworträtsel gefielen.
»Dann nehme ich ihn mit für …«
»Ich habe Nein gesagt.«
»Lass mich wenigstens etwas zum Lesen einpacken.«
Dad nickt, die Lippen zusammengepresst. Ich reiße ein Blatt aus dem Soap Opera Digest und lege es in den Roman von Stephen
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