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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Bilen
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packen musste? Nachdem Matt mit den Theaterproben aufgehört hat, können wir endlich in Urlaub fahren.
    Urlaub. Mir geht ein Licht auf. Vielleicht ist dies nicht irgendein Fluss, sondern der Ausable River. Mein Vater hat Urlaub gesagt. Hat er uns vielleicht zu Ramonas Ruhesitz gebracht, wo wir so oft im Sommer waren? Nach Matts Tod sind wir nicht mehr hingefahren, aber Dad verhält sich so, als wäre Matt noch am Leben, als wäre Zach mein Bruder.
    Die Hecktür öffnet sich. Mein Vater zieht das Tischtuch beiseite, und ich sehe meine Vermutung bestätigt. Auf dem Baumstumpf erhebt sich die holzgeschnitzte Adlerstatue – sie stand schon dort, als ich noch ein Kind war. Wir sind tatsächlich zu Ramonas Ruhesitz gefahren.
    Die nächste Hütte liegt so weit entfernt, dass man Schreie bis dorthin nicht hören könnte. Das dürfte der Grund sein, warum mir Dad das Klebeband vom Mund zieht. Meine Lippen brennen, und ich kann einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken. Zach kommt zu sich – Dad löst auch sein Klebeband.
    Dann öffnet er eine Schublade im Wohnmobil, nimmt einen Schlüssel heraus und schließt meine Handschellen auf. Ich reibe mir die brennenden Handgelenke.
    »Beweg dich!«, befiehlt mein Vater und legt den Schlüssel wieder in die Schublade. Mit der Pistole deutet er zur Tür.
    Die Luft riecht waldig und ist kühl in der Nähe des Flusses. Es fällt mir schwer, den Blick auf die Hütte zu richten. Wenn ich zum vorderen Fenster hinübersehe, erkenne ich Matt, wie er Mom mit einer Wasserpistole verfolgt. Wenn ich zum Fluss blicke, füllt Matt dort einen Eimer mit Wasser, um mich nass zu spritzen. Wenn ich den Kopf hebe, sitzt Matt im Baum und lächelt auf mich herab.
    Als ich die Hütte betrete, weiß ich, dass ich wie Dad den Verstand verloren haben muss.
    »Mom!«
    Meine Mutter sitzt auf einem Küchenstuhl, halb unter einer Decke. Ihr Mund ist zugeklebt. Ich breche in Tränen aus. Welcher Wahnsinn mich auch gerade heimsucht, er soll nicht wieder aufhören.
    Ich laufe zu Mom und schlinge die Arme um sie. Ihr Gesicht ist rot und zerschunden. Ich berühre die Tränen, die ihr über die Wangen laufen, und vergewissere mich, dass sie keine Halluzination ist.
    Für einen Moment empfinde ich wilde Freude. Sie lebt! Meine Mutter lebt!
    Dad zieht auch ihr das Klebeband vom Mund. Ich umarme sie erneut, aber sie kann die Umarmung nicht erwidern, weil sie mit Handschellen an den Stuhl gefesselt ist. Ihre Füße sind ebenfalls gefesselt, und zwar so, dass sie nicht aufstehen kann. Die Freude, die mich gerade noch erfüllt hat, löst sich in nichts auf. Meine Mutter lebt, aber kann sie nach diesen Erlebnissen jemals wieder so werden wie früher? Und wenn sie seit einer Woche gefangen gehalten wird … Wie soll da einer von uns entkommen?
    Dad zieht mich zur anderen Seite der Küche und verbindet meine Handschellen mit der Tür des Kühlschranks. Dann zieht er das Tuch an der Backofentür zurecht und schiebt auf der Arbeitsplatte drei Thunfischdosen genau nebeneinander. Hier also sind die Lebensmittel für fünfzig Dollar gelandet, die mein Vater mit der Kreditkarte gekauft hat.
    »Ich hole nur schnell Matt«, sagt Dad fröhlich. Der Kopf meiner Mutter zuckt so zur Seite, als hätte sie einen Schlag erhalten.
    »Er hält Zach für Matt«, sage ich, als mein Vater draußen ist.
    »Nein, Sara. Nein, du kannst nicht hierbleiben«, stößt meine Mutter hervor. Sie zittert, und ihre Worte klingen verwaschen. »Du musst fort. Es tut mir leid, dass ich so lange gewartet habe. Ich hatte gehofft, du würdest weglaufen. Und jetzt auch noch Zach … Ich hab dich lieb, Schatz.«
    »Ich dich auch, Mom. Es ist nicht deine Schuld. Wir finden einen Ausweg.« Ich versuche, mit fester Stimme zu sprechen und zuversichtlich zu klingen, aber die Wahrheit lautet: Ich bin vollkommen entsetzt und ohne Plan. Instinktiv greife ich nach meinem Pferdeschwanz und drehe ihn. »Bist du die ganze Zeit allein gewesen?«
    Mom schüttelt den Kopf. »Nein, dein Vater hat jeden Tag Stunden hier verbracht.«
    Dad, der nie zu spät zur Arbeit kommt und nie früher geht … Er ist hier gewesen? Plötzlich wird mir klar, warum Bruce Überstunden machen musste.
    Ich sehe mich in der Küche um. »Wo ist das Telefon?«
    »Dein Vater hat die Leitung durchgeschnitten und das Telefon mitgenommen.«
    So wie zu Hause.
    Zach wankt herein. Er hebt den Kopf, sieht meine Mutter und lächelt fast. »Misses …«
    »Matt!«, rufe ich. »Mom hat gerade nach eurem heutigen

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