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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Bilen
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hat sie herausgefunden, dass sie Dad mit diesen Worten nicht verärgert.
    »Wie war dein Tag, Sara?«
    Ich hole tief Luft und wiederhole, was ich am letzten Montag gesagt habe.
    »Gut, denke ich. Rachel hat sich in Chemie mit Salzsäure bespritzt und musste unter die Notdusche.«
    »Ich hoffe, es ist alles in Ordnung mit ihr«, sagt Mom wie abgesprochen.
    »Ja, kein Problem.«
    »Matt?«
    Wir sehen Zach an. Jetzt kommt es darauf an. Wird er das Richtige sagen? Weiß er über Matts Tagesablauf Bescheid? Und noch wichtiger: Erinnert sich Dad daran?
    Sprich nicht vom Spanischunterricht!, flehe ich ihn im Stillen an. Was auch immer du sagst, rede auf keinen Fall von Spanisch. Oder vom Dairy Dream. Oder von Theaterproben. Erwähn bloß keine Theaterproben!
    »Ich … äh … hatte eine Prüfung in Mathe.«
    Dad nickt. »Und?«
    »Es ist ganz gut gelaufen. Äh … zweiundneunzig.«
    Pass auf, Zach! Matt hätte nie so gut abgeschnitten.
    »Wie hast du das hingekriegt?«, fragt mein Vater misstrauisch.
    »Ich habe mich gut darauf vorbereitet«, erwidert Zach und sucht nach Worten. Ich muss mir etwas einfallen lassen, damit er nichts Falsches sagt.
    Ich lasse die Gabel zu Boden fallen und hoffe, dass es nach einer Ungeschicklichkeit aussieht.
    »Verdammt, Sara, kannst du nicht aufpassen?«, ruft mein Vater.
    »Entschuldigung«, sage ich. »Nur zu, Matt! Du wolltest gerade sagen, dass du nach der Schule zur Nachhilfe in Geschichte gegangen bist.«
    »Ja, genau«, bestätigt Zach sofort. »Bin ich.«
    Dad steht plötzlich auf. »Na schön. Gebt mir eure Teller.« Als er Moms und Zachs Teller zur Arbeitsplatte bringt, versuche ich, nicht auf die Waffe zu starren.
    Das ist doch verrückt. Wie viele Tage sollen wir auf diese Weise verbringen – immer wieder mit der gleichen Szene? Wir können nicht darauf vertrauen, dass uns mein Vater am Leben lässt. Irgendwie müssen wir die Pistole in unseren Besitz bringen. Ich muss sie an mich bringen. Und dann … An dieser Stelle erstarre ich innerlich. Wenn ich sie an mich gebracht habe, muss ich auch bereit sein, davon Gebrauch zu machen.
    »Dein Teller, Sara!« Dad hält die Hand ausgestreckt.
    »Hier, entschuldige.« Fast hätte ich erneut die Gabel fallen gelassen.
    Bei Dad dauert der Abwasch fünfmal so lange, wie er bei Mom und mir gedauert hätte, aber das scheint ihn nicht weiter zu stören. Jeder Teller wird sorgfältig geschrubbt und dann abgespült. Vorn, hinten, vorn, hinten, vorn. Das Abtrocknen geht so: festhalten, wischen, drehen, festhalten, wischen, auf die Arbeitsplatte stellen. Festhalten, wischen, festhalten, wischen und absetzen. Als er fertig ist, reicht er uns den Spüllappen, damit wir jeweils unseren Teil des Tischs abwischen. Anschließend bekommen wir das Tuch zum Abtrocknen.
    Offenbar hat Zach nicht richtig gewischt, denn Dad wirft ihm das Tuch an den Kopf. »Das nennst du trocken?«
    Als alle Teller fertig sind und der Tisch sauber ist, kündigt Dad die nächste Unternehmung an. »Puzzle-Time! Welches Puzzle wählen wir heute?« Er tritt ans Bücherregal und holt die Puzzlespiele hervor. »Mount Rushmore? Eine Waldszene?«
    »Ist die Freiheitsstatue noch da?«, fragt Mom.
    Wenn sich Dad an unsere Reise erinnert oder daran, die Glasstatue zerbrochen zu haben, so gibt er es nicht zu erkennen. »Also die Freiheitsstatue.« Er kehrt mit der Schachtel zurück und legt sie auf den Tisch. »Wer übernimmt was? Machst du erneut den Rand, Michelle?«
    Sie nickt. »In Ordnung.«
    »Matt und ich kümmern uns um die Statue«, sage ich.
    Wir machen uns schweigend an die Arbeit. Mom ist dabei ein wenig zu schnell, vielleicht deshalb, weil sie dieses Puzzle seit einer Woche immer und immer wieder zusammensetzt.
    »Möchtest du uns helfen, Ray?«, fragt Mom.
    Dad nimmt die Frage nicht zur Kenntnis. Statt mitzuspielen, geht er mit der Waffe in der Hand hinter uns um den Tisch herum. Wenn er mich erreicht, verkrampfe ich mich jedes Mal und warte darauf, ein Klicken und damit das Entsichern der Pistole zu hören. Allmählich frage ich mich, wie viele Lebensmittel übrig sind und was mein Vater vorhat, wenn der Proviant aufgebraucht ist. Meine Mutter hier gefangen zu halten, ist eine Sache, aber uns drei? Ich schiebe diesen Gedanken beiseite. Wir werden nicht so lange bleiben, dass wir nichts mehr zu essen haben. Ich werde vorher einen Ausweg für uns finden.
    Ich füge das fehlende Stück für die Fackel der Freiheitsstatue ein. Als wir das letzte Mal hier waren, haben Matt und

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