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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ahrens
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diese Zeilen kennt man. Ebenso klar: Sie gehören zum deutschen Bildungskanon. Auch nach diversen sportlichen Winter- und Sommermärchen der letzten Jahre ist Heinrich Heines Versepos Deutschland, ein Wintermärchen ein unschlagbares Original geblieben– und sei es nur diese erste Strophe. Sie klingt romantisch, melancholisch, sehnsuchtsvoll, Neugier weckend– aber ach! Die letzte Zeile stimmt eben nicht. Ebenso wenig wie der Titel des ganzen Werkes. Denn Deutschland war zu jener Zeit tatsächlich noch ein Märchen, so real wie Schneewittchen und die sieben Zwerge. Und es sollte noch mehr als ein Jahrhundert dauern, bis diese Schimäre zumindest teilweise Gestalt annahm– als Bundesrepublik Deutschland.
    Faktisch gab es vor dem 23. Mai 1949, dem Tag der Verkündung des Grundgesetzes, niemals ein Staatsgebilde oder eine Nation namens Deutschland; östlich der Elbe musste man sogar bis zum 3. Oktober 1990 darauf warten. Trotz unserer vermeintlich uralten Geschichte gehören wir damit zu den Jungspunden unter den Staaten dieser Welt. Selbst das so junge Israel der Neuzeit bringt es auf exakt neun Tage mehr. Deutschland– das war über viele Jahrhunderte eben nichts weiter als ein vage definierter Sammelbegriff für alle möglichen Ländereien, in denen Deutsch gesprochen wurde. Auch Heinrich Heine fuhr also im November 1843 aus seiner Wahlheimat Frankreich in Wirklichkeit nicht nach Deutschland hinüber, sondern ins Königreich Preußen. Weswegen er sich ein Kapitel weiter folgerichtig über die » preußischen Douaniers « mokiert, die sein Gepäck durchwühlen. Das Kapitel schließt denn auch mit dem Fazit: » Ein einiges Deutschland tut uns not, einig, nach außen und innen. « Eine klare Ansage nach tausend Jahren der Zerrissenheit.
    Ja, aber das » Deutsche Reich « ? Das entstand doch 28 Jahre nach dem Wintermärchen, also schon lange vor 1949. Natürlich. Nur dass dieses Gebilde– wie später auch die DDR – eben nicht den Namen Deutschland trug, sondern mit stolzgeschwellter Brust das Reich in den Mittelpunkt stellte und den Begriff » deutsch « nur als Anhängsel führte.
    In den rund tausend Jahren zuvor stolperte unsere sogenannte Nation ziemlich planlos als unvollendetes Flickwerk durch die Geschichte. Würde man die Entwicklung der politischen Landkarte zwischen den Jahren 800 und 1871 zu einem dreiminütigen Film im Zeitraffer komprimieren, dann wäre das Ergebnis ein einziges Augenflimmern. Zwar gab es seit Karl dem Großen ein Kaiserreich in der Mitte Europas, aber das war die meiste Zeit bis zu seinem Ende im beginnenden 19. Jahrhundert nicht mehr als ein gemeinsames Dach, unter dem unzählige Könige, Kurfürsten, Herzöge und Markgrafen ihr jeweils eigenes Süppchen kochten. Karl V. etwa herrschte als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches von Madrid aus und kannte » Deutschland « gar nicht, der Stauferkaiser Friedrich II . wiederum residierte in Süditalien.
    Die » Deutschen « bildeten während dieser Zeit allenfalls eine Sprachgemeinschaft, aber weder einen Staat noch irgendeine andere politische Einheit. » Wir « waren Teil des Heiligen Römischen Reiches. Dessen Bewohner begannen frühestens im 11.Jahrhundert, aufgrund ihrer gemeinsamen Sprache überhaupt so etwas wie ein Nationalbewusstsein zu entwickeln: Zu Beginn des 12. Jahrhunderts tauchten erstmals schriftliche Dokumente mit Bezeichnungen wie diutisches land oder diutische lande auf. Aber erst seit 1486– also seit dem Spätmittelalter– ist für das Kaiserreich der erweiterte Name » Heiliges Römisches Reich deutscher Nation « belegt.
    Etwa ab 1500 klingt es dann schon etwas vertrauter, wenn der Dichter und Humanist Ulrich von Hutten den Begriff » deutsche Lande « verwendet. Allerdings gilt für Hutten wie für die meisten seiner gebildeten Zeitgenossen: Die geistige Elite, und erst recht die geistliche, hielt sich an ihr angestammtes Latein. Selbst Martin Luther, dessen Bibelübersetzung die deutsche Sprachgemeinschaft so nachhaltig geprägt hat, ist diesbezüglich keine Ausnahme. Die meisten seiner Schriften verfasste er auf Latein, auch wenn er teilweise die Übersetzung gleich beifügte. Deutsch, das war bis in die Neuzeit hinein eher die Sprache der niederen Stände– so überwog bis 1681 die Zahl der auf Latein veröffentlichten Bücher die der deutschsprachigen. Erst der streitbare Augustinermönch und Volksschriftsteller Johann Ulrich Megerle (1644 – 1709), besser bekannt unter seinem Künstlernamen Abraham a

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