Wie deutsch ist das denn?!
Bundesadler und das Brandenburger Tor. Schöngeister bezeichnen ihn schlicht als Kitsch, wenden sich mit Grausen ab oder ergehen sich in ätzendem Spott– zumindest nach außen hin. Insgeheim pflegt vermutlich so mancher eine Art lustvoller Hassliebe zu den possierlichen Wesen. Schließlich zeigt sich hier der deutsche Spießer in Reinkultur, und den braucht man schon als Messlatte für die eigene intellektuelle Überlegenheit.
Spießer hin, Schöngeist her: Der Gartenzwerg steht zweifellos für Schwarz-Rot-Gold bis auf den Grund seines tönernen Wesens. Oder etwa nicht? Spiegelt sich in ihm nicht der Prototyp des deutschen Michel? Und war er nicht selbst in den Jahrzehnten der deutschen Teilung der sichtbare Beweis dafür, dass wir trotz auseinanderdriftender Lebensgewohnheiten ein Volk waren und sind? Zwarverhängte das thüringische Wirtschaftsministerium 1948 ein zeitweiliges Gartenzwergverbot (wg. kleinbürgerlicher Dekadenz), aber schon drei Jahre später fiel der Bann, und es herrschte wieder einig Zwergenland. Drüben Broiler und Rotkäppchen, hüben Toast Hawaii und Henkell Trocken– den gezipfelten Gnom focht das alles nicht an, er zierte als Sinnbild von Brüderlichkeit und deutscher Wertarbeit ostdeutsche Datschen ebenso wie westdeutsche Schrebergärten. Wobei die in der DDR gefertigte 1A-Ware selbstverständlich in den Westen exportiert wurde, während man sich im real existierenden Sozialismus mit Ausschuss oder zweiter Wahl begnügen musste.
Dabei soll der Gartenzwerg sogar in Ostdeutschland erfunden worden sein: Die Idee wird dem Thüringer Terracotta-Fabrikanten Philipp Griebel zugeschrieben, der 1890in Gräfenrodadie ersten Tonzwerge in Serie herstellte und damit eine ungeahnte, bis heute andauernde Unternehmerkarriere auf den Weg brachte.
Allerdings hat diese Story einen Haken– sie ignoriert nämlich eine Vorgeschichte, die zwei weitere Jahrhunderte zurückliegt. Die ernüchternde Wahrheit lautet: Der Gartenzwerg kommt aus Österreich, und auch hinsichtlich seiner Verbreitung ist er keineswegs ein rein deutsches Phänomen. In der italienischen Kleinstadt Furore scheint die Zwergenpopulation sogar derart überhandgenommen zu haben, dass sich der Bürgermeister im Jahr 2010 genötigt sah, ein Verbot zu verfügen. Seitdem dürfen die Nani di giardino in dortigen Vorgärten nicht mehr aufgestellt werden. Aber der Reihe nach.
Verbürgt ist: Die ersten Gartenzwerge entstanden in der Barockzeit– vermutlich zwischen 1690 und 1695– in Salzburg, und ihr Schöpfer war der in Graz geborene Architekt Johann Bernhard Fischer von Erlach. Seine Figuren, aus Marmor gehauene Nachbildungen kleinwüchsiger Menschen, bildeten die Wahrzeichen des sogenannten Zwergelgartens von Schloss Mirabell (wo sie heute, größtenteils als Nachbildung, wieder zu besichtigen sind). Frühere Generationen hatten mit der Traditionspflege offensichtlich noch nicht so viel am Hut, denn der Garten wurde Ende des 18. Jahrhunderts einem radikalen Umbau unterzogen, weil seine Gestaltung als hoffnungslos altmodisch galt. Im Jahr 1811 verschwanden als letztes Relikt schließlich auch die historischen Zwerge. Der bayerische Kronprinz Ludwig I., damals vorübergehend Regent von Salzburg, empfand sie als Beleidigung des guten Geschmacks und ließ sie kurzerhand versteigern.
Den Siegeszug des Gartenzwergs konnte Ludwigs Freveltat allerdings nicht bremsen, denn die Idee ihres Erfinders hatte längst Schule gemacht. So verbreiteten sich barocke Zwergenfiguren in zahlreichen weiteren Ziergärten des Adels– in Österreich, Deutschland, Tschechien, Italien, Slowenien und anderen Ländern, sogar über Europa hinaus. Auch die Meissener Porzellanmanufaktur und die Kaiserliche Hofmanufaktur in Wien fertigten im 18. Jahrhundert Zwerge en masse, nun aus Keramik. Schon um 1800 sollen Serien solcher Figuren auch in England entstanden sein; zumindest aber scheint man sie dort geschätzt zu haben. Den Beweis liefert ein standhafter Überlebender jener Zeit. Noch heute ist im Hausgarten von Schloss Lamport Hall in Northamptonshire einer von ursprünglich 21 garden gnomes aus Terracotta zu bewundern, die der Besitzer Sir Charles Isham aus Deutschland mitgebracht hatte. Spitzname des Zwergs: » Lampy « . Heutiger Versicherungswert: eine Million Pfund.
Erst 1872 und 1874 entstanden im thüringischen Gräfenroda die zwei Firmen, die später den deutschen Gartenzwerg als Massenprodukt auf den Markt warfen. Die Gründer August Heissner und Philipp
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