Wie deutsch ist das denn?!
vom vermeintlich deutschesten aller Dichter und Denker, unserem literarischen Nationalheros Johann Wolfgang von Goethe. Genauer gesagt, aus seiner 1819 erschienenen Anthologie West-Östlicher Divan. Dort ist sogar noch stärkerer Tobak zu lesen:
Ärgert’s jemand, dass es Gott gefallen
Mohammed zu gönnen Schutz und Glück,
Um den stärksten Balken seiner Hallen,
Da befestig’ er den derben Strick,
Knüpfe sich daran! Das hält und trägt,
Er wird fühlen, dass sein Zorn sich legt.
Goethe, der ewige Leuchtturm unter den deutschen Geistesriesen– ausgerechnet er ein militanter Fürsprecher des Propheten, womöglich gar ein verkappter Dschihadist? Oder was soll man von derartigen Ergüssen halten?
Nun ja. Wenn’s eine Nummer kleiner sein darf: Die Bewunderung der islamisch-arabischen Kultur gehört in der Tat untrennbar zu Goethes Leben und Werk. Sie ist allerdings nur eine von zahllosen Facetten, die unseren Dichterfürsten– neben seiner gewaltigen literarischen Hinterlassenschaft– zu einer so imponierenden Persönlichkeit machen. Und gerade das Festnageln auf den Aspekt » deutsch « passt in diesem Zusammenhang in der Tat am wenigsten. Als nationales Besitztum hätte Goethe sich nie verstanden wissen wollen, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung heute das Gegenteil suggeriert. So sind aktuell acht verschiedene deutsche Preise, Medaillen und Plaketten nach Goethe benannt. Wir haben zwei Goethe-Museen, eine Goethe-Universität und eine Unzahl von Goethe-Schulen. Es gibt einen Goethe-Bund, eine Goethe-Gesellschaft; und jene Einrichtungen, welche die deutsche Sprache und Kultur in aller Welt hochhalten, heißen natürlich » Goethe-Institute « – von Denkmälern und Straßennamen gar nicht zu reden. Kurz, unser Land ist von Goethe förmlich durchdrungen.
Dabei empfanden viele seiner Zeitgenossen den Weimarer Dichterfürsten als Nestbeschmutzer und vaterlandslosen Gesellen. Denn in Wahrheit war Goethe das exakte Gegenstück eines deutsch denkenden Patrioten, wie man ihn als Geistesgröße damals gern gehabt hätte. Vielmehr lebte er vor, was es heißt, kosmopolitisch zu denken und zu fühlen, und gehörte damit seinerzeit zu denjenigen, die am weitesten über den Tellerrand, sprich: über die Grenzen des deutschen Kultur- und Sprachraums hinausblickten: » Wissenschaft und Kunst gehören der Welt an und vor ihnen verschwinden die Schranken der Nationalität. «
Es sind vielfältige Einflüsse, die Goethe dergestalt prägten, und sie reichen bis in seine Jugendzeit zurück. So wird während des Siebenjährigen Krieges, als seine Heimatstadt Frankfurt am Main von französischen Truppen besetzt ist, ein aus Paris stammender Offizier in seinem Elternhaus einquartiert. Zur Unterhaltung der Truppe ist gleich noch ein Ensemble von Schauspielern dabei, sodass der junge Johann Wolfgang die französische Dramenliteratur aus erster Hand kennenlernt und sich für sie begeistert.
Vier Jahre später folgt eine weitere Schlüsselerfahrung: Gerade mal 16 Jahre alt, beginnt Goethe 1765 auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium in Leipzig – in jener Zeit eine Metropole, deren quirliges Leben im krassen Gegensatz zum bräsig-verschlafenen Frankfurt stand. Bei dem zwar vielseitig gebildeten, sonst aber noch recht unbedarften Provinzgrünschnabel löst die weltoffene Atmosphäre der Stadt wohl einen wahren Kulturschock aus. Jedenfalls zieht sie Goethe unwiderstehlich in ihren Bann und beeindruckt ihn fürs Leben. Wozu sicher auch der Umstand beiträgt, dass er sich in Leipzig bis über beide Ohren in die drei Jahre ältere Wirtstochter Annette » Käthchen « Schönkopf verliebt. Noch viele Jahre später greift er die Erinnerung an diese Zeit im Faust I wieder auf: » Mein Leipzig lob’ ich mir! Es ist ein Klein-Paris und bildet seine Leute! «
Weitere kulturell prägende Stationen und Erlebnisse sind– nach überstandener Lungenkrankheit– die Fortsetzung seines Studiums im stark französisch geprägten Straßburg, die dortige Begegnung mit Geistesgrößen wie dem Schriftsteller und Philosophen Johann Gottfried Herder, später eine mehrmonatige Reise in die Schweiz und schließlich der Umzug in die Kunst- und Kulturhochburg Weimar.
Zu einer denkwürdigen Erfahrung wird auch die ausgedehnte » italienische Reise « , zu der Goethe 1786 aufbricht. Hier lernt er die Bauten und Kunstwerke aus Renaissance und Antike kennen, erweitert seinen Horizont um eine Unzahl neuer Eindrücke und kommt– nach seiner eigenen
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