Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
Verbote tatsächlich auf wackligen Füßen stehen, zeigt ein Vergleich mit den Urteilsbegründungen der bisher verhandelten Klagen gegen Charterverbote. Der schwerwiegendste Punkt ist ein Totschlag aus dem Jahr 2006. Das Kapitalverbrechen lag zum Zeitpunkt der Verbotsverfügung aber schon über fünf Jahre zurück. Wenn diese Tat nun als entscheidend angeführt wird, wird sich das Innenministerium fünf Jahre anhaltende Untätigkeit vorwerfen lassen müssen. Auch müsste der Totschlag an einem Türsteher eindeutig als Vereinsaktivität gewertet werden können. Diesbezügliche Anhaltspunkte wie das Tragen des Colors, die Mittäterschaft weiterer Angels, ein nachweislicher Befehl der Clubführung oder ein Zusammenhang mit Herrschaftskämpfen im Türstehermilieu wurden aber nicht aufgeführt. Liegen sie also gar nicht vor? Damit dürfte das Verwaltungsgericht große Schwierigkeiten haben, diesen Totschlag als Vereinsaktivität zu werten.
In einigen Innenministerien ist anscheinend der Eindruck entstanden, dass Vereinsverbote gegen Hells Angels ein Allheilmittel und verwaltungsrechtliche Selbstläufer sind. Diese Verbote ersetzen aber nicht die normale Polizeiarbeit, denn sie müssen hieb- und stichfest begründet werden.
Anwalt Michael K. sind bei der Aktensichtung weitere formale Ungereimtheiten aufgefallen. So ist er im Besitz eines vertraulichen Konzeptpapiers zur Polizeistrategie gegen Rockerclubs. Darin werden Polizeibehörden bundesweit angehalten, ihre Ermittlungen zu intensivieren, um Charter oder Chapter durch das jeweilige Innenministerium verbieten lassen zu können. Das wäre jedoch, so der Anwalt, eine Kompetenzüberschreitung der Polizei, die den Auftrag habe, Tatbestände objektiv zu sichern und nicht Vorgänge zu bewerten. Eine derartige Bewertung der Sachlage müsste in Eigenregie durch das Innenministerium erfolgen, dies sei im Rahmen der Frankfurter Verbote aber nicht geschehen. Das Ministerium habe einfach Schlussfolgerungen der Polizei übernommen, die diese aber gar nicht hätte treffen dürfen. Auch sei es versäumt worden, eine eigene Abwägung vorzunehmen, die das Vereinsgesetz für eine Verbotsverfügung vorschreibt. Sollte sich diese Sichtweise vor Gericht durchsetzen, wären die beiden Verbotsverfügungen gescheitert und die Blamage für Boris Rhein komplett, nachdem er die Wahl zum Frankfurter Oberbürgermeister bereits sensationell deutlich verloren hat.
Aus Hells Angels Hamburg wird Harbour City
Man sollte nicht dem Reflex verfallen, ein bundesweites Verbot als ultimative Lösung aller Probleme mit den Hells Angels anzusehen und zu glauben, dass sie dadurch zwangsläufig aus allen Rotlichtvierteln der Republik vertrieben würden. Die Erfahrungen und Realitäten in Deutschlands größtem und sicherlich auch profitabelstem Rotlichtviertel, der Hamburger Reeperbahn, sprechen eine andere Sprache. Man muss dabei allerdings berücksichtigen, dass das 1983 ausgesprochene und 1988 letztinstanzlich bestätigte Verbot gegen das Hamburger Charter nicht aufgrund von Verstößen gegen Strafgesetze durchgesetzt wurde, sondern sich lediglich auf Verstöße gegen das Vereinsgesetz bezieht. Die Hells Angels sind deswegen in Hamburg auch nicht verboten, wie häufig irrtümlich berichtet wird. Es ist ihnen lediglich untersagt, ihre Kutte zu tragen, den Hamburger Namenszug und Deathhead zu benutzen, da sie unter Verwendung dieser Symbole Angst und Schrecken bei der Bevölkerung verbreitet hätten, so die damaligen Verwaltungsrichter.
Die Hells Angels in der Hansestadt agierten infolge dieser Auflagen weniger in der Öffentlichkeit, betrieben ihre umfangreichen Aktivitäten auf dem Kiez im Verborgenen aber weitgehend weiter. Am 5. Februar 2005 wurde dann das neue Hamburger Hells-Angels-Charter Harbour City ins Leben gerufen, das offiziell in Schwerin registriert ist, was nach dem schwachen Verbot auf Basis des Vereinsgesetzes rechtlich nicht zu beanstanden ist. Machtdemonstrationen von Hunderten röhrenden Harleys, die im Motorradkorso durch Hamburg brettern und die Öffentlichkeit verschrecken, fanden jedoch nicht statt. Ebenso vermieden es die Angels, auffällige Luxuslimousinen direkt vor den von ihnen kontrollierten Bars, Lokalen und Bordellen zu parken. Man hatte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt; protziges Gehabe würde nur polizeiliche Ermittlungen und eine negative Presseberichterstattung nach sich ziehen. »Taking care of business« ließ sie auf den ersten Blick quasi unsichtbar werden.
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