Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
verhindern, mindestens jedoch zu stören. Die zur Sicherung eingesetzten Polizeieinheiten unterbanden aber jeden Störungsversuch. Die IMK konnte sich auch keinen Verzug leisten, da neben den bereits länger geplanten Tagesordnungspunkten Internetkriminalität, Gewalt gegen Polizisten, Maßnahmen zur Bekämpfung linksextremistischer Gewalt und der wieder aufflammenden Gewalt bei Fußballspielen ein weiterer Schwerpunkt aufgenommen wurde: die ausufernde Rockerkriminalität. Dieses Thema blieb natürlich trotz des einen Tag vorher inszenierten Friedensschlusses von Hannover auf der Agenda. Die Wirkung auf die Experten war eher gegenteilig: Zahlreiche Innenminister ließen sich in spöttischen Kommentaren darüber aus und bezeichneten die Hannoveraner Inszenierung als bloße Showveranstaltung, die keinerlei Einfluss auf ihre Arbeit haben werde.
Wenn man es als Gruppierung aus dem Rotlicht- und Türstehermilieu bis auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz schafft, hat man wirklich ein Problem, denn dort wird das bundesweite polizeiliche Vorgehen besprochen, oft über Parteigrenzen hinweg. Erfahrungsgemäß ist der Posten des Innenministers ein Amt, in dem man bereits am Tag seiner Ernennung zum nüchternen Pragmatiker wird. Auf der IMK werden die polizeilichen Schwerpunkte der nächsten Monate und Jahre festgelegt. Die Umsetzung geschieht zwar meist mit einem gewissen zeitlichen Verzug, da sie erst die Bürokratie durchdringen muss, aber wenn das Budget und die personellen Ressourcen bereitgestellt sind, fängt die Polizeiarbeit richtig an. Ermittlungsgruppen werden gebildet und Sonderkommissionen aufgestellt – so wie die beim Landeskriminalamt Schleswig-Holstein angesiedelte Soko »Rocker«.
Diese Einheit zeichnete schon für das Verbot des Hells-Angels-Charters Flensburg und des Bandidos-Chapters Neumünster Ende April 2010 verantwortlich. Nachdem die Polizisten der Soko sich an diesen beiden Filialen der deutschen Bikergroßmächte abgearbeitet hatten, geriet eines der mächtigsten Hells-Angels-Charter ins Visier der Ermittler: Kiel. Die am 17. September 1994 ins Netzwerk aufgenommene Filiale in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt ist das viertälteste bestehende Charter in Deutschland. Wie die mittlerweile verbotenen Stützpunkte Flensburg und Neumünster liegt es an der strategisch wichtigen und mit 963 Kilometer längsten deutschen Bundesautobahn A 7. Diese Nord-Süd-Achse ermöglicht eine direkte Verbindung zwischen den mächtigsten europäischen Ablegern der beiden größten OMCGs in Deutschland und Skandinavien. Ermittler sind sich sicher, dass die offene deutsch-dänische Grenze regelmäßig als Einfallstor für einen florierenden Handel mit Drogen, Waffen und Anabolika missbraucht wird.
Am 31. Januar 2012 beendeten das LKA Schleswig-Holstein und Innenminister Klaus Schlie mit einer Verbotsverfügung das knapp 20-jährige Treiben der Höllenengel in Kiel. 300 Polizeibeamte, darunter ein Spezialeinsatzkommando, wurden bei dieser Großrazzia eingesetzt. Um absolute Geheimhaltung sicherzustellen, war den Polizisten zuvor gesagt worden, ihr Einsatz richte sich gegen organisierte Rechtsextremisten. Erst zwei Stunden vor dem tatsächlichen Zugriff wurden die Beamten über das eigentliche Ziel der Aktion informiert, so der Direktor des LKAs Schleswig-Holstein. Mit der Geheimhaltung wollte die Polizeiführung verhindern, dass Informationen nach außen drangen oder sich das Charter in letzter Sekunde gar selbst auflöste. Ein offiziell nicht mehr existierendes Charter kann nämlich auch kein Innenminister verbieten.
Die Geheimhaltung gelang. Am frühen Montagmorgen gegen sechs Uhr stürmten Polizeikräfte die Wohnungen von sieben Funktionsträgern des Clubs und den Angels-Treffpunkt »Sansibar« im Kieler Rotlichtbezirk. Die oftmals vorgebrachte Behauptung von Ermittlern, dass die kriminellen Geschäfte der Höllenengel mehr als genügend Geld in die Vereinskassen spülten, bestätigte sich bei dieser Razzia wieder einmal. Die Polizei stieß bei der Durchsuchung des »Sansibar« auf eine blaue Geldkassette. Ihr Inhalt: 37 000 Euro in bar. Das Geld war teilweise gebündelt und auf den meisten Bündeln klebten kleine, gelbe Post-it-Zettel mit der Summe und zum Teil auch dem Verwendungszweck, wie beispielsweise »Anwälte« oder »1000 Euro in bar an Markus«. Die eher schlichte Art der Kassenführung war anscheinend nicht für einen Steuerprüfer vom Finanzamt vorgesehen. Mit Beginn der Razzia
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