Wie die Libelle in der Wasserwaage
festgenommene Galerist sei. Er habe wohl gerne Bilder zu hohen Preisen an anonyme, wohlhabende Kunstsammler verkauft und dann die Gelder - wie es sich brave Staatsbürger gehört - offiziell versteuert. Die verbliebenen Summen investierte er hinterher zu großen Teilen, indem er sie an gewisse Familien weiterleitete, von denen er wertvolle Kunstwerke erwarb, die sich schon seit Jahrhunderten in Familienbesitz befanden, Gelder, die von den betreffenden Familien ebenfalls ordnungsgemäß bei der Steuer deklariert wurden. Mehr wolle man aber zu dem Thema lieber nicht sagen.
Merkwürdig. Alte Kunst hatte ich bei Giandomenico nie bemerkt. Aber jener bereitwillige Käufer, der zehntausend Euro spontan aus der Brusttasche bezahlt hatte, erschien mir plötzlich in völlig neuem Licht.
Über Gianni erfuhr ich nichts. Überhaupt gar nichts. Es war zum Verzweifeln. Irgendwie musste ich an Giandomenico herankommen, denn der wusste bestimmt etwas, nur wie? Er wurde hermetisch abgeschirmt. Als Untersuchungsgefangenem war es ihm strikt untersagt, Besucher zu empfangen oder auch nur mit anderen Personen als dem Wachpersonal, der Staatsanwaltschaft, Richtern und seinem Anwalt Kontakt zu haben. Ich versuchte, mit seinem Verteidiger in Verbindung zu treten, und hätte damit beinahe Erfolg gehabt.
Dann kam die Ernüchterung. Giandomenico wurde an einem Donnerstag im Juni vom Untersuchungsgefängnis zum Gericht gefahren, wo eine richterliche Anhörung stattfinden sollte. Als er vor dem Gerichtsgebäude ausstieg, wurde aus einer vorbeirasenden dunklen Limousine mehrfach auf ihn geschossen. Zwei Polizisten wurden schwer verletzt. Giandomenico war auf der Stelle tot. Die Presse vermutete, dass er aus dem Weg geräumt wurde, bevor er eventuell eine Aussage machen konnte. Was für eine absurde, grausame Welt!
*
Immer wieder durchstreifte ich die Bars und Kneipen, in denen Gianni sich herumgetrieben hatte, aber ohne jeden Erfolg. Mein Verlobter war wie vom Erdboden verschluckt. Niemand hörte etwas von ihm, nicht das kleinste Lebenszeichen. Alle alten Bekannten Giannis, die ich fragte, gaben mir die italienische Antwort. Denn wenn man einen Italiener etwas fragt, worauf er nicht antworten kann oder will, dann hüllt er sich einfach kurzerhand in Schweigen.
Bruno, ein Barpianist mit dem er befreundet war, lud mich schließlich eines Abends zu einer Margherita ein und legte mir tröstend den Arm um die Schulter. Die Sache sei doch klar, meinte er, warum ich denn nicht verstehe? Hier ging es immerhin um die Mafia, da schweige man besser, es sei sehr unvernünftig von mir, meine Nachforschungen nicht endlich einzustellen. Gianni sei eben rechtzeitig vor dem großen Zugriff abgetaucht, und nun befinde er sich womöglich auf der Flucht vor der Mafia, ich solle ihm das nicht unnötig erschweren. Vielmehr solle ich nun endlich vernünftig sein und meine Investigationen einstellen. Ich würde nur Unheil herauf beschwören.
Flucht vor der Mafia? Gab es so etwas? Konnte irgendwer auf dieser Welt sich ernsthaft der Mafia entziehen, wenn sie hinter ihm her war? Die Verzweiflung brach über mir zusammen.
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Die letzten Wochen meines Dienstes als Au-Pair verbrachte ich wie in katatonischer Apathie. An den Abenden saß ich auf der Spanischen Treppe und starrte ins Leere. Wie dumpfe Heere identisch brauner Ameisen zogen die Menschen an mir vorbei, deren kosmopolitische Farbenpracht mich einst so überwältigt hatte. Ich saß starr wie in einem steinernen Ei, während sie um mich herum schnatterten und wirbelten, als befänden sie sich in einer anderen Dimension, in der alle Bewegung schneller ablief und die für mich unerreichbar blieb.
An den Wochenenden saß ich einsam im stillen Schatten der hohen Pinien auf dem Palatin im Gras und legte stumpf Patiencen, um die Zeit zu töten. Unter mir, im Tal, lag das Forum Romanum, ein großes Feld steinerner Zeugen der großen Geschichte der Ewigen Stadt. Ruinen, so wie mein eigenes Leben. Alles Große endet schließlich als Ruine. Aber hatte das so schnell gehen müssen?
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Als meine Dienstzeit zu Ende war, wurde ich mit aufgesetzter Freundlichkeit verabschiedet. Das Schicksal Giandomenicos war zwischen meiner Herrschaft und mir nie thematisiert worden. Wohl wissend war mit klugem Kalkül der Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet worden. Man wünschte mir alles Gute für die Zukunft und bot an, mir ein Taxi zu rufen. Das war’s.
Die einzige, die den Abschied ehrlich zu bedauern schien, war die gute
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