Wie die Libelle in der Wasserwaage
alte Maria Pilar. Sie hatte durchaus bemerkt, dass in letzter Zeit etwas nicht mit mir gestimmt hatte, aber ich hatte ihren zahllosen Versuchen, in mich zu dringen und eine Erklärung zu finden, erfolgreich widerstanden. Trotzdem bedauerte sie meinen Weggang sichtlich. Meine Nachfolgerin kam aus England, man wusste nicht, was da auf einen zukam.
Alejandro streckte mir zum Abschied die Zunge heraus.
*
Ich fuhr natürlich nicht nach Deutschland zurück. Ich setzte mich in den Zug nach Neapel und nahm von da den Bus nach Ravello. Denn zumindest seiner eigenen Familie gab man doch ein Lebenszeichen, oder? Also würde ich in Ravello etwas über Gianni erfahren. Und ich sollte der Familie auch keine Unbekannte sein, schließlich waren sie damit beschäftigt, unsere Traumhochzeit vorzubereiten. War ja auch an der Zeit, dass wir uns alle mal kennenlernten!
Leider hatte ich keine Adresse, aber so groß ist das verwunschene Örtchen Ravello ja nicht. Das würde sich schon herausfinden lassen. Ich wusste nur den Familiennamen, Ponticorvo, wobei es in Italien so ist, dass Eheleute nach der Heirat ihren Geburtsnamen behalten und keinen gemeinsamen Namen führen. Giannis Mutter würde also ganz anders heißen, aber sein Vater und ein Teil der restlichen Sippe hießen ja sicher auch Ponticorvo. Außerdem dürfte Gianni dort kein Unbekannter sein, schließlich war er da aufgewachsen.
Ich fragte in allen Bars und Restaurants, in den Hotels, in einem großen Laden, der grässliche, bunte Keramikwaren feilbot, in den zahllosen kleinen Souvenierlädchen voller Kitsch und Krimskrams für die Touristen, an den Eintrittskassen der Villen Cimbrone und Rufolo, für deren prachtvolle Gärten und spektakuläre Panoramen ich keine Augen hatte. Ich fragte am Ende jeden Passanten nach Gianni Ponticorvo. Niemand hatte je von ihm gehört.
Aber meine Beharrlichkeit erregte zunehmend Aufsehen in dem kleinen Ort. Ich glaube, es hätte nicht viel gefehlt und sie hätten mich in eine Irrenanstalt einweisen lassen. Jedenfalls sprach mich irgendwann ein Polizist auf den Grund für meine penetrante Recherche an. Dankbar erläuterte ich ihm mein Problem. Ich erntete Kopfschütteln. Gianni Ponticorvo? Nie gehört. Auch eine Familie dieses Namens gab es in Ravello und den umliegenden, schwer zugänglichen kleinen Bergweilern nicht. Das wusste er ganz genau. Schließlich war er schon seit vierunddreißig Jahren hier im Dienst. Wenn einer sich auskannte, dann er. Ich war fassungslos.
*
Ich stand vor dem Nichts. Meine Gedanken rasten. Ich brauchte einen völlig neuen Plan. Zumindest eine weitere Interimslösung musste her, und zwar schnell.
Von dem mit meinen kleinen Kunstvermittlungsgeschäften verdienten Honorar hatte ich knappe dreizehntausend Euro gespart. Das war deutlich besser als nichts, würde mich aber nicht dauerhaft ernähren, es war nur eine kurzfristige Überbrückungshilfe. Also brauchte ich möglichst bald irgendeinen neuen Job.
Von Italien hatte ich die Schnauze voll. Ich wollte mit der ganzen, verzehrenden Gewalt des nach Seelentrost schmachtenden Heimwehs zurück nach Deutschland. Aber unter keinen Umständen wollte ich mich noch einmal der zweifelhaften Gnade meiner Eltern aussetzen. Sollten die doch an ihrer Lieblosigkeit ersticken!
Also entschied ich mich spontan am Bahnhof von Neapel für eine neue Destination. Der erste Zug Richtung Norden endete in Hamburg. Auf nach Hamburg! Alles Weitere würde sich dann schon finden.
*
Während der ganzen langen Zugfahrt überlegte ich fieberhaft. Zunächst musste ich eine Bleibe finden. Ein billiges Hotel für den Übergang, und dann so schnell wie möglich eine kleine Wohnung. Besser noch wäre ein möbliertes Zimmer, denn ich hatte ja nichts. Eine Wohnung einrichten, was würde das kosten? Wenn ich nicht unbedingt nur den Sperrmüll abklappern wollte, bestimmt viel zu viel!
Noch schwieriger war die Frage, wie frisches Geld hereinkommen sollte. Es gibt sich ja immer viel leichter aus, als es sich verdienen lässt. Und irgendwie war mir nach einer soliden, dauerhaften Lösung. Es konnte ja nicht immer so weitergehen. Von halbseidenen Machenschaften hatte ich außerdem erst mal die Nase voll.
In Mailand hielt der Zug für zwanzig Minuten. Ich stieg aus, kaufte mir ein paar belegte Panini, Wasser und den neusten SPIEGEL. Die Fahrt war ganz schön lang, ich brauchte etwas, um mir die Zeit zu vertreiben und die grauen Gedanken für eine Weile aus dem Kopf zu bekommen.
Dann ratterten wir
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