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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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Wasser zu bringen. Und zwar rasch. Er habe höllischen Durst, es sei eine bodenlose Schlamperei, dass der Füllstand seiner Flasche am Abend nicht kontrolliert worden und für entsprechenden Nachschub gesorgt worden sei. Das sei doch wohl meine Aufgabe in der Nachtschicht gewesen. Aber ich hätte ja offensichtlich andere Dinge im Kopf, als meinen Dienst ordnungsgemäß zu verrichten. Und dann nannte er mich Negerflittchen . Das war zu viel.
    Und mit einem Mal war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich musste handeln, und zwar sofort. Der Kerl hatte es nicht verdient zu leben und allen anständigen Menschen war seine schauderhafte Existenz nicht mehr zuzumuten. Dass ich das in die Hand nahm, war nur logisch und konsequent. Meine Fähigkeiten als Schicksalsengel hatte ich ja schon unter Beweis gestellt. Also war es doch eigentlich schon meine Pflicht, die Welt von Josef Zimbach zu befreien, oder?
    Gegen zwei Uhr in der Nacht, Hamburg feierte noch den Anbruch des neuen Jahres, während das Heim in tiefer Nachtstarre lag, besorgte ich mir das Insulin. Das Medikamentenzimmer lag verlassen am nur von einer Notbeleuchtung erhellten Flur. Keine Menschenseele weit und breit. Auf jeder Station gab es nur eine Notbesetzung für diese Nacht, die meisten hatten den Fernseher eingeschaltet und berieselten sich mit dem bis in die Morgenstunden fortdauernden Silvesterprogramm. Ich hatte freie Bahn.
    In Josef Zimbachs Zimmer war alles still. Beim schwachen Licht einer kleinen Schlüsselanhänger-Taschenlampe sah ich, dass der alte Faschist friedlich schlief. Sein vom Alter verwüstetes Gesicht lag bleich auf dem Kopfkissen, der schmale Mund mit den eingefallenen Lippen stand halb offen und schnarchte leise vor sich hin. Kleine Sabbertropfen hatten sich in den grauen Bartstoppeln gesammelt.
    Sein Haar war noch erstaunlich dicht. Wäre es nicht einfacher gewesen, die Injektion am Haaransatz vorzunehmen? Ein Einstich würde doch auch da nicht weiter auffallen.
    Andererseits war die Haut dort relativ straff gespannt und das unterliegende Bindegewebe fehlte. Da war nicht viel Platz bis zum Schädelknochen. Eine subkutane Injektion war an anderen Körperstellen deutlich leichter. Und würde man dabei versehentlich den Muskel treffen, so hatte Tafari mir erklärt, sei das zwar schmerzhaft und nicht so gut, die Wirkung wäre aber die Gleiche.
    Minutenlang verharrte ich vor dem widerlichen Greis und überlegte. Dann überließ ich das Zepter der Walküre in mir. Ich hob die Bettdecke am Fußende. Der Kerl lag tatsächlich mit hässlichen, braunen Socken im Bett. Mit sanfter Hand ergriff ich seinen linken Fuß, kaum spürbar, wie der Flügelschlag einer Libelle. Ich wagte es nicht, ihm die Socke auszuziehen, weil ich befürchtete, ihn damit aufzuwecken. Spontan markierte ich mit den Augen eine Stelle zwischen dem ersten und dem zweiten Zeh und setzte meine Injektion.
    Josef Zimbach wachte sofort auf. Mit weit aufgerissenen Augen sah er mich an, versuchte mit all seiner greisen Kraft, mir den Fuß zu entziehen und schrie mit heiserer Stimme. Ich erwiderte kalt seinen Blick, hielt den Fuß mit eisenhartem Griff und vollendete die Injektion. Stirb, du Schwein, waren die Worte, die ich ihm auf seine letzte Reise mitgab.
    *
    Um sechs Uhr wurde ich von den ersten Mitarbeitern der Tagschicht abgelöst. Auf dem Heimweg fühlte ich mich beschwingt und erleichtert. Ich hatte genau das Richtige getan. Ich hatte die Menschheit von einem widerlichen Parasiten befreit. Eigentlich hätte ich eine Medaille dafür verdient.
    Ich haute mich aufs Ohr und schlief ein paar Stunden tief und erholsam. Am Nachmittag holte mich Tafari, der noch immer dienstfrei hatte, zu einem Neujahrsspaziergang ab. Mit zehn Grad war es ziemlich warm, außerdem regnete es fast ununterbrochen, es war absolut keine adäquate Stimmung. Aber das war mir ganz egal. Ich war beschwingt wie nach dem prickelnden Silvesterchampagner, den ich nicht bekommen hatte. Was für ein großartiger, formidabler Start ins neue Jahr!
    *
    Als ich am zweiten Januar morgens zum Dienst erschien, trat mir Sonja mit Gallebittermiene entgegen. Sie müsse mir leider mitteilen, dass Herr Zimbach von uns gegangen sei, und zwar in der Silvesternacht. Die Pflegerin hatte ihn am Morgen tot im Bett gefunden, nachdem er nicht zum Frühstück erschienen war. Ob mir vielleicht in der Nacht irgendetwas aufgefallen sei?
    Wahrheitsgemäß berichtete ich von seinem Klingeln kurz nach Mitternacht, den Ohrstöpseln

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