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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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Damen, die an den Rollstuhl gefesselt war, starb und wurde durch einen lungenkranken Achtzigjährigen ersetzt. Seine beiden Kinder waren überaus erleichtert, dass ihr Vater so schnell einen Platz gefunden hatte.
    Der alte Zimbach benahm sich widerlich wie eh und je. Bei einem feierlichen Kreis anlässlich des Erntedankfestes verstieg er sich zu der im ganzen Raume gut vernehmbaren Bemerkung, ein Neger habe auf einem deutschen Erntedankfest doch wahrhaftig nichts zu suchen. Die Schwatten aus Afrika hätten doch gar keine Ahnung von der Landwirtschaft, sonst wüssten sie ja, wie man sich ernährt. Das wüssten sie aber eben nicht, und deshalb kämen sie in unser schönes Land, um hier an unserem sauer erarbeiteten Wohlstand teilzuhaben und zu schmarotzen. Weshalb es uns bald auch nicht mehr besser gehen würde, als den hungerleidenden Zulukaffern in Afrika, wenn wir nicht endlich gehörig aufpassen würden. Was für ein Ekelpaket!
    Noch schlimmer war, dass niemand etwas dagegen sagte. Im Gegenteil, einige der Alten nickten beifällig. Ich sah zu Tafari hinüber, der aber schien ungerührt, so als habe er den boshaften Anwurf überhört. Mir war sehr unwohl in meiner Haut, aber ich wusste echt nicht, was ich tun sollte. Doch wie heißt es so schön? Wer schweigt, stimmt nicht immer zu. Er sieht nur manchmal keinen Sinn darin, mit Idioten zu diskutieren. Und es wäre wohl vermessen gewesen, zu glauben, man könne mit diesem starrköpfigen Mann über seine rassistische Denkweise diskutieren und so etwas wie ein Umdenken bewirken. Doch meine eigene Ohnmacht in dieser Situation kotzte mich an.
    Während der Adventszeit ging es im gleichen Tenor weiter. Es sei ja schlimm, dass heutzutage Mohren unser heiliges Weihnachtsfest besudeln würden, sagte er eines Abends, als wir die dritte Kerze am Adventskranz im Gemeinschaftsrum angezündet hatten. Ich konnte nicht an mich halten und warf ein, dass ja schließlich auch einer der Drei Weisen aus dem Morgenland schwarz gewesen sei. Aber der alte Zimbach stellte sich taub. Von den anderen erntete ich nur verständnislose Blicke. Entweder, sie verstanden nicht, was da vorging, oder sie dachten genauso wie das alte Schwein und wagten nur nicht, es offen auszusprechen.
    *
    Ich hielt dieses grässliche Benehmen schließlich nicht mehr aus. Immer, wenn ich Tafari darauf ansprach, wiegelte er ab und meinte, so schlimm sei das alles nicht, er nehme das nicht persönlich und ich solle es doch auch einfach überhören. Aber wie konnte ich das?
    Dieser Kerl war ein dicker, dunkler Schmutzfleck auf der ohnehin schmuddeligen Weste der Menschheit. Wieso lebte so einer, verursachte Kosten und kostete die Kraft derjenigen, die ihn versorgten, auch die Kraft Tafaris, den er bei jeder Gelegenheit diskriminierte und beleidigte? Das war doch nicht gerecht, oder?
    *
    In der Silvesternacht fasste ich einen Entschluss. Ich hatte Dienst auf unserer Station, weil das Los auf mich gefallen war. Außerdem war ich am unteren Ende der Stationshierarchie, weil ich nur die kürzeste Dienstzeit von allen vorweisen konnte und war schon deshalb die Erste, die zu solch unbeliebten Zeiten arbeiten musste. Alle anderen hatten frei, so auch Tafari, der den Abend auf einem afrikanischen Trommelfest verbrachte.
    Die Nacht war lang. Während die anderen ausgelassen in das neue Jahr 2007 hineinfeierten, saß ich alleine im Stationszimmer und grübelte vor mich hin. Die Bewohner waren ruhig, nur ein paar Mal sah ich nach denen, die gelagert werden mussten und drei- oder viermal führte ich jemanden zur Toilette.
    Als um Mitternacht die Raketen abgeschossen wurden, stellte ich mich an das große Fenster des Gemeinschaftszimmers und sah dabei zu, wie das Geld am Himmel explodierte. Der Anblick war eigentlich ganz schön, doch es dauerte nur Sekunden, bis mich die Klingel in ein Zimmer rief. Es war ausgerechnet Josef Zimbach. Mein kurzer Anflug des Hauchs einer Silvesterstimmung platzte wie ein Luftballon beim Ballonrasieren auf Gran Canaria.
    Der Krach rege ihn auf, ranzte er mich an, ich solle ihm Ohrstöpsel bringen, das sei ja wie Artilleriegeschütze da draußen. Man könne das doch betagten Leuten wie ihm nicht zumuten, da müsse die Regierung mal etwas unternehmen. Gleich morgen werde er die Heimleitung dazu auffordern, eine entsprechende Eingabe beim Petitionsausschuss des Bundestages zu machen. Eine Frechheit sei das! Und außerdem, so befahl er mir in herrischem Tonfall, soll ich ihm gefälligst eine neue Flasche

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