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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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und dem Verlangen nach Wasser. Danach sei alles ruhig geblieben. Gelogen hatte ich also nicht, oder? Seine kurze, krächzende Schreierei zählte hier nicht, das hatte ja auch keiner von den anderen Alten gehört. Die schliefen und waren ohnehin schwerhörig. Was keiner hört, das ist nie erklungen. Richtig? Lügen finde ich nämlich echt unmoralisch.
    *
    Schon zwei Tage später bezog eine neue Bewohnerin sein Zimmer. Sie war zwar erst achtundsiebzig Jahre alt und für ihr Alter eine ziemlich attraktive, schlanke und aufrechte Erscheinung, aber doch schon ziemlich dement. Ihre Tochter, eine drahtige Person Ende Vierzig, organisierte den Einzug. Sie hängte Bilder an die Wände, stellte Vasen und kleine Erinnerungsstücke auf und wirkte insgesamt erleichtert. Sie sei ja so unendlich froh darüber, dass es mit dem Einzug ihrer Mutter in unser Haus doch noch so schnell geklappt hätte. Denn zuhause sei es mehr und mehr unerträglich geworden. Man habe ihre Mutter nicht mehr unbeaufsichtigt lassen können, erzählte sie, während sie kleine, abscheuliche Figürchen aus Meißner Porzellan auf ein Regalbrett drapierte. Die habe die verrücktesten Dinge getan, zum Beispiel das schmutzige Geschirr in die Waschmaschine gesteckt und dann eingeschaltet. Alles sei natürlich zu Bruch gegangen, ein heilloses Chaos. Und einmal habe sie sogar das Bügeleisen auf die heiße Herdplatte gestellt, so wie man das früher machte, als die Bügeleisen noch nicht elektrisch waren. Ihres sei aber ein recht modernes Dampfbügeleisen gewesen, da hätte ja das ganze Haus abbrennen können!
    Die Tochter selbst arbeitete als Maklerin in einem großen Büro, ihr Mann war Bankangestellter, die beiden Kinder seit kurzem aus dem Haus. Deshalb hatte sie ständig jemanden gebraucht, der bei der dementen Mutter blieb und aufpasste, so etwas geht ins Geld!
    Aber die Heimleiterin – meine Scheinbrünette – habe ihr erklärt, dass eine lange Warteliste bestehe, so schnell könne ihre Mutter leider nicht aufgenommen werden. Es gebe da freilich eine Möglichkeit, die Angelegenheit zu beschleunigen, aber das war viel zu teuer, zwanzigtausend, man stelle sich vor! So rosig sei die Wirtschaftslage ja auch nicht mehr, sie und ihr Mann müssten ja auch an ihr eigenes Alter denken, und die Kinder, die würden ja noch studieren, das alles koste so viel Geld, da seien zwanzigtausend kein Pappenstiel. Zumal die monatlichen Heimkosten ja auch gestemmt werden müssten, mehr als zweieinhalbtausend jeden Monat, die Rente ihrer Mutter sei gar nicht so hoch. Ja, ja, es ist eine schwere Last mit dem Alter.
    Doch vorgestern, sie habe es kaum fassen können, da hätte die Heimleiterin sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass da jetzt schon für zehntausend was zu machen wäre. Nur die Hälfte! Naja, ich wisse ja sicher, wie das sei. Sie habe da nicht mehr lange überlegt, plauderte sie weiter und stellte dabei ein grässliches, künstliches Usambaraveilchen auf die Fensterbank.
    Gerade Silvester sei so furchtbar gewesen. Ihre Freunde seien alle ausgegangen, aber sie und ihr Mann hatten bei der Mutter bleiben müssen, die noch dazu die ganze Nacht hindurch so schrecklich unruhig gewesen sei. Um Mitternacht hätte sie laut „Bombenalarm“ gebrüllt und immer wieder geschrien, sie müssten sofort in den Luftschutzkeller. Sie sei kaum zu beruhigen gewesen. Also, das hielte doch kein Mensch aus, oder? Das ganze Silvester sei kaputt gewesen, wenn das Jahr schon so anfinge, da würde einem ja alles vergehen! Da seien die zehntausend Euro das kleinere Übel gewesen. Ihr Mann habe das auch gesagt.
    Ich hatte gar nicht gewusst, dass für den Einzug in unser Heim solche Summen hingeblättert werden mussten. Das war erstaunlich.
    *
    Am nächsten Tag wurde ich ins Büro der Scheinbrünetten zitiert. Mir schwante nichts Gutes.
    Sie wies mich mit einer herrisch bestimmenden Geste an, Platz zu nehmen und betrachtete mich mit einem strengen, taxierenden Blick. Dann fiel sie mit der Tür ins Haus. Sie wisse Bescheid, sagte sie. Mein Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. Dann begann ein wildes Rasen. Cool bleiben, sagte ich mir, jetzt absolut cool bleiben. Meine Haut kribbelte.
    Was sie denn meine, fragte ich sie und setzte dabei eine Miene auf, die möglichst unschuldig und treuherzig erscheinen sollte. Kontrollieren konnte ich diese Wirkung natürlich nicht. Das zunehmende Kribbeln auf meinen Wangen bedeutete wohl nichts anderes, als dass ich rot anzulaufen begann.
    Sie wischte

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