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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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Zimmers mit kalter Klarheit. Was tat ich hier? Hatte ich mir den Rest meines Lebens so vorgestellt? Irgendwann kommt der Tag, an dem man sich fragt, wie man den Rest seines Lebens verbringen will. Vielleicht war heute genau dieser Tag für mich. In diesem Loch wollte ich den Rest meines Lebens jedenfalls nicht verbringen.
    Ich dachte an Heidi und erschauderte. Eine dumpfe Alkoholikerin. Aber immerhin hatte sie sich nicht ganz aufgegeben, sie studierte, sie plante eine bessere Zukunft. Das war mehr, als ich vorzuweisen hatte, gestand ich mir ein. Es war an der Zeit, an meine eigene Zukunft zu denken. Und die lag ganz gewiss nicht im Altersheim. Noch nicht, zumindest. Das hatte noch einige Jahrzehnte lang Zeit. Und die galt es mit Leben zu erfüllen. Und mit einem Sinn.
    In Hamburg hatte ich diesen Sinn nicht finden können. Ich hatte doch nur Siechtum, Verzweiflung und Trostlosigkeit gefunden. Mein Entschluss kristallisierte sich langsam aus dem Nebel meines angespannten Geistes heraus. Ich würde Hamburg verlassen.
    Und was wäre mit Tafari? Wehmütig krallte sich der Gedanke an ihn um mein Herz. Lass ihn los, sagte eine andere Stimme in mir. Tafari bedeutet Stillstand, und Stillstand ist Rückschritt. Geh nach vorne, lebe dein Leben. Triff Entscheidungen nur für dich selbst. Und für den Rest deines Lebens. Unter eigener Regie!
    *
    Entschlossen packte ich meine paar persönlichen Dinge zusammen und verstaute sie in den beiden kleinen Koffern, die ich besaß. Viel war es nicht. Was mir nicht mehr gefiel, ließ ich einfach im Schrank. Diese grässliche gelbe Bluse mit den schwarzen Punkten zum Beispiel, das war ein glatter Fehlkauf gewesen. Weg damit. Es war Zeit, alten Ballast loszuwerden.
    Für meinen Vermieter schrieb ich eine kurze Notiz, dass ich leider umgehend ausziehen müsse. Ich hätte festgestellt, dass die Abluft der sich im Parterre des Hauses befindenden chemischen Reinigung im Badezimmer unseres Dachverschlages austrete. Der beißende Geruch verhieße nichts Gutes, es sei wohl mit einer erheblichen Gesundheitsbelastung zu rechnen. Auf Schadensersatzansprüche oder gar eine größere Öffentlichkeit würde ich verzichten, zum Ausgleich aber die letzte Miete einbehalten.
    Dann schickte ich Tafari eine SMS, in der ich ihm mitteilte, dass ich überraschend fort müsse. Ich bat ihn, nicht böse zu sein und versprach, mich zu melden.
    Ich zog meine Winterjacke an, nahm die Koffer und machte mich auf den Weg. Im Treppenhaus begegnete ich Heidi. Triumphierend hielt sie mir zwei Rumflaschen entgegen, ihre jüngste Beute. Dann stutzte sie beim Anblick meiner Koffer. Ich müsste verreisen, beschwichtigte ich sie, keine Sorge, alles sei in bester Ordnung.
    Danach fuhr ich zum Bahnhof.
    *
    Da stand ich also wieder, ohne festes Ziel und ohne Plan. Ich überlegte kurz, mich wie zuvor spontan von der Destination des nächsten erreichbaren Zuges inspirieren zu lassen. Auf der großen Tafel stand Mailand. Das kam nicht in Frage.
    Also studierte ich die anderen Orte, die die Züge ansteuerten. München? Nein, zu bayrisch. Hannover? Zu norddeutsch dröge. Berlin? Zu chaotisch. Frankfurt? Zu anonym. Leipzig? Zu weit im Osten. Köln?
    Köln! Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht Weltstadt, aber auch nicht Provinz, voller rheinischer Frohnatur und freundlicher, aufgeschlossener Menschen. Warum nicht Köln? Ich kaufte ein Ticket für den 17:27-Intercity-Express.
    *
    Es war fortgeschrittener Abend, als ich in Köln eintraf. Dunkel, kalt und regnerisch. Wie ein bedrohlicher, grün-grauer Geist erhob sich der Dom schemenhaft aus der dunstigen Nässe. Menschen eilten dick vermummt mit eingezogenen Köpfen vorbei. Von rheinischem Frohsinn war nichts zu spüren.
    Gleich neben dem Dom lag ein großes Hotel, passenderweise auch nach ihm benannt. Ich zögerte nicht lange. Der Schuppen sah edel aus, aber das war mir egal. Für eine Nacht wäre das schon okay. Morgen würde ich weitersehen.
    Das Zimmer war teuer, für diesen Preis hatte ich meine Dachkammer fast einen Monat lang bewohnt. Damit hatte ich gerechnet. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass das mir zugewiesene Zimmer auf einen düsteren, engen Innenhof hinausging und auch ansonsten nicht gerade durch Schönheit überwältigte. Für den stolzen Preis hatte ich etwas Besseres erwartet. Andererseits kannte ich mich in der Edelhotelszene auch nicht aus. Vielleicht war das ganz normal und man zahlte nur für den ehrenwerten Namen. Unter diesem Aspekt waren

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