Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
Vom Netzwerk:
vermutlich auch die langen, dunklen Haare zu betrachten, die sich in einer Ecke des Badezimmers zu einem kleinen Büschel zusammengerollt hatten und sich auf diese Weise vielleicht schamhaft meinen Blicken entziehen wollten.
    Ich beschloss, es dem Büschel leichter zu machen und mich selbst noch einmal zurückzuziehen. Zu meinem Refugium erwählte ich die Hotelbar und bestellte mir eine Erdbeer-Caipirinha. Im Hotel fand gerade ein Pharmakologen-Kongress statt. Dementsprechend war die Bar gefüllt mit sonoren Herren meist bereits fortgeschritteneren Alters in eleganten, dunklen Anzügen. Sie schienen mich vollkommen zu übersehen, niemand nahm Notiz von mir. Vermutlich lag das an meinen abgenutzten Billigklamotten, dieses Bekleidungsniveau lag den Herren einfach fern. Selbst meine Jugend konnte dem keine Abhilfe schaffen. Ich war nur eine graue Maus aus der Unterschicht, während die Herren sich in ganz anderen Sphären bewegten. Deshalb war ich für sie quasi unsichtbar. Irgendetwas stimmte hier doch nicht!
    Bei der zweiten Caipirinha kam ich ins Grübeln. Was ich bisher aus meinem Leben gemacht hatte, reichte einfach nicht. Ich musste höher hinaus, im Dienstbotengewerbe brachte man es zu nichts. Nur fiel mir partout nicht ein, wie ich diese höhere Ebene mit möglichst wenig Aufwand erreichen konnte.
    Ich beobachtete die Herren, wie sie plaudernd in Grüppchen beisammenstanden. Dann fiel mir eine elegante Blondine auf, die mit einem älteren Mann in eine Nische saß und ihn offensichtlich nach allen Regeln der Kunst umgarnte. Ich kannte diese Spielchen noch von Gran Canaria her, aber sie übertrieb es wirklich. Es war schon fast grotesk, wie sie ihre Augen betont langsam unter den übertrieben langen Wimpern aufschlug – die waren garantiert falsch. Ihre Augen leuchteten in einem geradezu betörenden Aquamarinblau, also trug sie auch noch gefärbte Kontaktlinsen. Ihre lasziven Bewegungen wirkten auf mich wie die überspitzten Betörungsrituale der Karikatur einer Femme Fatal. Aber es wirkte. Der Typ hing an ihren Lippen, er betete sie an.

Das konnte ich auch. Und zwar besser.
    *
    Am nächsten Morgen verlängerte ich erst mal meine Zimmerbuchung um eine weitere Nacht. Dabei versäumte ich es aber nicht, auf das Haarbüschel hinzuweisen und entrüstet seine Entfernung zu verlangen. In einem solchen Haus hätte ich das nicht erwartet, fügte ich hinzu. Der Dame an der Rezeption war es sichtlich peinlich. Mit einer leicht blasierten Geste wandte ich mich ab. Die sollten schon merken, mit wem sie es zu tun hatten. Ich war nicht das kleine Dummchen, für das sie mich vielleicht hielten.
    Und ich hatte Geld. Es wurde Zeit für eine gewinnbringende Investition. Ich trat sozusagen unter die Spekulanten.
    Den ersten Hunderter setzte ich auf einen schicken Frisör. Neben dem Geld musste ich noch den halben Vormittag investieren, aber es lohnte sich. Das Ergebnis konnte sich sehenlassen. Meine Frisur war vielleicht ein bisschen bieder, aber ziemlich elegant. Auf jeden Fall wirkte ich damit seriös.
    In der direkten Umgebung meines Hotels gab es etliche noble Läden, die ich lauernd umschlich, um sie auf ihre Tauglichkeit für die Fortsetzung meiner Anlagetätigkeit zu überprüfen. Die wenigen Accessoires, die versteckt in einer ziemlich idiotischen Dekoration bei Louis Vuitton im Fenster ausgestellt waren, hatten keine Preisschilder. Das hatte vermutlich seinen Grund. Wie viel mochte so eine hübsche kleine Tasche kosten?
    Der Portier hielt mir bereitwillig die Türe zum Laden auf, doch entging mir nicht der abschätzige Blick, mit dem er meine Klamotten streifte. Schon fühlte ich mich verunsichert. Ich ärgerte mich sehr. Schließlich war ich die Kundin und hatte das Geld. Mit welchem Recht guckte der Kerl mich so an und warum ließ ich mich davon einschüchtern? Ich richtete mich innerlich auf und bemühte mich, den Gesichtsausdruck eines arroganten Snobs aus meinem mimischen Repertoire hervorzukramen.
    Die stark geschminkte Verkäuferin, die beflissen auf mich zueilte, bediente mich mit professioneller Höflichkeit. Falls mein billiges Outfit sie irritierte, so ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Sie führte mir einige Taschen vor und nannte auf Nachfrage auch deren Preise. Ich musste all mein schauspielerisches Talent zum Einsatz bringen, um mir nichts anmerken zu lassen. Meinen Schock schluckte ich mit dem Champagner, der mir zwischendurch offeriert wurde, hinunter. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. War

Weitere Kostenlose Bücher