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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Mir war nach einer Zigarette. Als ich in meine Tasche griff, stellte ich fest, dass ich einen Fehler begangen hatte. In Hofmanns Kellerflur lagen auf einem Chemikalienkanister meine Schachtel Zündhölzer und eine Packung Carpati.
    Nach zwei Stunden unruhigen Schlafs weckte mich Ilja. Er stöhnte und klagte über Kopfschmerzen. »Das war dieser Konjaki Napoleon.«
    Wir verzichteten auf ein Frühstück und liefen um Punkt acht Uhr mit unseren Ausweisbildern über die Flure der staatlichen Meldebehörde. Dass man der aufgeblähten Bürokratie in der Neuen Republik personelle Trägheit und fachliche Untauglichkeit nachsagte, bestätigte sich für uns an diesem Morgen in keiner Weise. Bereits um acht Uhr dreißig überreichte eine Verwaltungsangestellte mir meinen ersten Personalausweis, mit der Bemerkung, warum ich auf dem Lichtbild nur so streng und steif dreinschaue. Dann legte sie Großvater den neuen Pass zur Unterschrift vor.
    »Ich kann nur lesen, nicht schreiben«, sagte er. Die Beamtin holte ein Stempelkissen. »Kommt öfter vor, als man denkt. Quittieren Sie mit dem Daumen.«
    Kurz darauf saßen wir im Amt für Kollektivierungsangelegenheiten in der Stube »HO Konzessionen A-D« und tranken einen Mokka. Eine Stunde später war Großvater Vertragsgenossenschaftler der Handelsorganisation Lebensmittel, Bezirk Kronauburg, Filialbetrieb Baia Luna. Zudem war er kein privater Kneipier mehr, sondern besaß eine staatliche Schanklizenz für Spirituosen bis vierzig Volumenprozent Alkoholanteil. Allerdings werktags nur bis zweiundzwanzig Uhr dreißig und an Sonntagen bis einundzwanzig Uhr.
    »Wie kommt es, dass unsere Bürokratie endlich mal den Hintern hochbekommt?«, fragte Großvater zum Abschied.
    Die Dame räusperte sich. »Sagen wir so. Die Effizienz in unseren Behörden ist enorm gestiegen, seit der Genosse Doktor Stephanescu erster Parteisekretär von Kronauburg ist. Wenn Sie mich fragen, dieser Mann ist ein Segen für uns alle.«
    Ich fragte sie nicht. Wie sehr die Angestellte irrte, bestätigte sich, als ich mit dem Großvater das Zentrallager der Handelsorganisation betrat, um endlich unsere Waren zu besorgen. »Ich bin gespannt, wie die neuen Preise sind«, sagte Ilja. »Die Hossus jedenfalls waren immer reell.«
    Hossu! Genau! Einige Male hatte ich die Brüder Hossu flüchtig gesehen, als ich Großvater bei seinen Einkaufsfahrten zu den Grossisten begleitet hatte. Ich kannte ihre Vornamen nicht, doch ich kannte ihre Gesichter. Eines hatte ich diese Nacht gesehen, aber ich hatte mich nicht daran erinnern können, wo es hingehörte. Dass sich ein älterer Herr mit einem blonden Engel in einem Hotelzimmer vergnügte, das mochte sicher ab und an vorkommen. Dass er sich dabei freiwillig von einem Fotogra fen ablichten ließ, wohl nicht.
    10
    Eine Zigarette mit Filter, der Lichtstrahl der Erkenntnis sowie Maria und die Meere
    Als wir gegen Abend mit überladenem Kutschwagen in Baia Luna die Brücke über die Tirnava passierten, verbreitete sich einem Lauffeuer gleich die Kunde, im Laden der Botevs stünde nicht nur frische, sondern auch außergewöhnliche Ware zum Verkauf. Wir hatten das Fuhrwerk noch nicht entladen, da standen die Frauen schon Schlange, um ihre Haushaltsvorräte wieder mit Sonnenblumenöl, Salz, Zucker und Weizenmehl aufzufüllen. Es gab sogar, erstmalig und speziell für die Damen, wie Großvater anpries, Spülmittel mit Zitronen duft, Dosen mit weißer Creme für zarte Hände und zwei Flakons eines Parfüms der Marke» Träume der Nacht«, von denen Vera Raducanu gleich einen erwarb, während die zweite Flasche noch Jahre in den Regalen stehen sollte, bis ich und der Zigeuner Dimitru dafür eine Verwendung fanden. Am begehrtesten jedoch waren einige bittersüße fremdländische Früchte, von denen sich nur die Älteren erinnerten, sie in royalistischer Zeit wohl schon gesehen, aber nie gekostet zu haben.
    Die günstigen, aber seltsam krummen Preise, per Staatsdekret bis auf die letzte Ziffer festgelegt, erklärte Ilja mit einer von ihm selbst nicht durchschauten nationalen Subventionspolitik und seinem neuen Status als Genossenschaftler des staatlichen Handelskollektivs, was Hermann Schuster zu der boshaften Bemerkung veranlasste: »Jetzt paktierst du also auch mit den Kommunisten.«
    Erika Schuster nahm Großvater vor ihrem Mann in Schutz und forderte, endlich diese grauenhafte Politik aus dem Spiel zu lassen und das Leben allein danach zu beurteilen, was sich unterm Strich rechne. Die Frauen

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