Wie die Madonna auf den Mond kam
des Dorfes teilten Erikas Ansichten. Nur die Kinder schauten maßlos enttäuscht, als Opa ihnen erklärte, es gebe fortan nur Fruchtbonbons mit Himbeergeschmack, aber keine echten Kaugummis mehr. Da traurige Kinderaugen jedoch sein Gemüt beschwerten, ersann er die Mär, das Versorgungsschiff aus Amerika habe wegen eines brausenden Unwetters auf dem Atlantik leider nicht pünktlich in dem Schwarzrneerhafen Constanta vor Anker gehen können, würde aber sicherlich bald einlaufen. Dass ihm der Direktor der Handelsorganisation Kronauburg erklärt hatte, amerikanische Kaugummis seien als dekadenter Auswuchs kapitalistischen Konsumgebarens komplett aus dem Sortiment gestrichen, verschwieg er. Wenn die Kinder fortan in Iljas Bonbonniere griffen, so verzweifelten sie an den Himbeerbomsen, die zu einem untrennbaren Zuckerklumpen verklebt waren.
Alles in allem setzte sich in Baia Luna die Ansicht durch, dass die Zeiten zwar nicht rosig waren, aber so lange die Regierung in der Hauptstadt die Preise senkte und sich die Kronauburger Kollektivisten nicht blicken ließen, würde sich das Dorfleben auch ohne Pfarrer, ohne Madonna und ohne Ewiges Licht zwar nicht wieder in die alte, aber doch in eine annehmbare Ordnung einpendeln. Sicher missfiel es den Eltern, dass noch immer keine neue Lehrkraft in der Schule unterrichtete, aber auch das würde sich bestimmt im nächsten oder übernächsten Schuljahr ändern.
Für unseren Laden schien sich das neue Genossenschaftsmodell zu rentieren. Bei dem ersten Großeinkauf hatte Großvater eine Hälfte des Warenpaketes aus den familiären Ersparnissen bar beglichen, die andere Hälfte auf Kommissionsbasis erhalten, demnach die Ware erst nach dem Verkauf abzurechnen war. Zogen wir die Kosten für die Übernachtung im Goldenen Stern und das Essen im Restaurant ab, so war sogar noch etwas Geld übrig geblieben. Dafür hatte Großvater, meinem Drängen folgend, vor unserer Rückfahrt von Kronauburg nach Baia Luna ein Gerät angezahlt, um dem eintönigen Leben im Dorf etwas »kulturelles Niveau« entgegenzusetzen: eine Antenne für den Fernseher. Ilja behielt recht mit der Annahme, dass ein funktionstüchtiger Apparat die in letzter Zeit geschwundene Anziehungskraft unserer Schankbutike erheblich steigern würde. Sobald der Bote das erste Monatssalär brachte und eine erneute Einkaufsfahrt nach Kronauburg anstand, würde er den Rest der Kaufsumme für die Antenne begleichen. Als Großvater dann auch noch den Männern wieder frischen Silvaner und sogar einige Kisten Kronenbräu auftischte, gaben selbst eingefleischte Gegner des Bolschewikentums zu, der Sozialismus sei zwar generell des Teufels, habe aber zweifels frei auch sein Gutes. Statt in der Wirtsstube Karten zu spielen oder Runden auszuwürfeln, starrten die Männer fortan auf die Mattscheibe.
Während Großvaters Ansehen durch den Fernseher im Dorf einen merklichen Aufschwung erlebte, hatte ich nach der Rückkehr aus Kronauburg einige Tage heftig an einer Sache zu nagen. Ich mied jede Nähe zu meiner Mutter und wagte es kaum, ihr in die Augen zu schauen. Kathalina hatte mich in einer stillen Stunde beiseitegenommen und mir mit bösem Blick deutlich gemacht, solche Schweinereien wolle sie nie wieder unter ihrem Dach haben. Beim Auslüften der Betten war ihr in meinem Zimmer eine Fotografie in die Hände gefallen, nach deren Herkunft sie erst gar nicht fragen wollte. Ich war angelaufen wie ein roter Puter und hatte mich in den Erdboden geschämt. Mutter sagte, sie habe das schweinische Machwerk selbstverständlich auf der Stelle zerrissen und in den Ofen geworfen. Damit war für Kathalina die Angelegenheit erledigt, die sie nie wieder von sich aus erwähnen sollte. Offenbar hatte sie weder den Schaumweinspritzer Doktor Stephanescu noch sonst einen der Männer auf dem anstößigen Bild erkannt.
Nach einigen Tagen Scham frist normalisierte sich mein Verhältnis zu meiner Mutter. Den Verlust des Bildes konnte ich verschmerzen. Schließlich befand sich das Negativ in meinem Besitz. Nur: der Filmschnipsel allein nützte mir nichts. Mir fehlten die technischen Möglichkeiten, um das Negativ in ein Positiv zu verwandeln. Plakative Fotoabzüge schwebten mir vor, in der Größe, wie sie im Schaufenster des Studios Hofmann hingen. Einen Plan, wie an die nötigen Laborutensilien zu gelangen war, hatte ich nicht. Doch die Uhr gegen Doktor Stephanescu tickte. Ich brauchte Geduld. Ich musste warten.
Zunächst bedurfte es eines sicheren Ortes, für
Weitere Kostenlose Bücher