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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Kaufladen abschließen und die Treppe zum Eingang fegen wollte, überquerten die Planwagen die Brücke über die Tirnava. Ich warf den Besen von mir und rannte los. Nach wenigen Minuten hatte ich die Kolonne eingeholt. Atemlos lief ich auf einen Wagen in der Mitte des Zuges zu, in dessen offenem Rückteil Buba und ihre Mutter Susanna saßen. Von Weitem sah Buba mit ihren kurzen schwarzen Haaren aus wie ein Junge. Sie winkte stürmisch, so als habe sie sehnlichst auf diesen Moment gewartet. Als ihre Mutter mich entdeckte, trommelten ihre Fäuste auf Buba nieder. Ich schaffte es gerade noch, ihr etwas in die Hand zu drücken. Während ich außer ihrem Namen kein anderes Wort hervorbrachte, rief Buba nur: »Ich warte auf dich«, dann zerrte ihre Mutter sie in den Wagen. Ich blieb stehen, bis sich der Zug der Zigeuner in der Ferne verlor. In Bubas Faust steckte ein kleines Passbild. Es zeigte einen entschlossenen jungen Mann in einem Anzugjackett und mit dunkler Krawatte.
    Zu Tode betrübt schlich ich ins Dorf zurück. Solchen Schmerz sollte ich erst Jahrzehnte später wieder verspüren, als ich gewahrte, dass meine Liebe in dem Sumpf eines wunschlosen Unglücks versunken war.
    Dimitru Carolea Gabor und die Familie des Ion Vadura, der die Siedlung der Zigeuner hütete, waren in Baia Luna zurückgeblieben. Dimitru hatte seine Reiseunlust mit dringenden Studien zu begründen versucht, war aber in seiner Sippe auf Unverständnis gestoßen, da er sich bei seinen Erklärungen nur seiner Hände und Füße, nicht aber der Sprache bediente. Zwangsläufig betraf sein selbst auferlegtes Redeverbot auch die eigenen Leute. Im Dorf sah man Dimitru kaum. Manchmal schlurfte er zur Dorftränke, wo er sich eine Kanne frisches Wasser holte. Sein Anblick rührte an das Mitleid Erika Schusters und meiner Mutter, weshalb die beiden Frauen abwechselnd mittags eine Mahlzeit mehr kochten, die sie Dimitru vor die Büchereitür stellten, um ihn vor dem Verhungern zu bewahren.
    Auch Großvater durchlebte in diesen Monaten eine befremdliche Veränderung. Zwar schienen die Zeiten wirtschaftlicher Kaufmannsnöte vorbei, doch gesundheitlich ging es ihm schlecht. Das Schweigen seines Freundes Dimitru bedrückte ihn schwer. Morgens kam er kaum aus den Federn, und abends legte er sich so früh ins Bett, dass ich notgedrungen die Aufgaben in Laden und Schankstube übernehmen musste, sollte das Geschäft nicht verwahrlosen. Versackt im Morast der Schwermut, holten ihn selbst gutes Zureden und Schimpftiraden nur kurzfristig aus seiner Lethargie heraus, sodass Kathalina und ich uns allmählich ernstliche Sorgen machten.
    Die Mitarbeit im Geschäft forderte mich derart, dass Sommer und Herbst verflogen wie im Nu. Und das, obwohl ich mich wochenlang grämte, dass die Zigeuner im Spätsommer ohne Buba ins Dorf zurückgekehrt waren. Dass Bubas Mutter Susanna ihre Ansichten ändern würde, hatte ich zwar gehofft, aber nie ernsthaft erwartet.
    Die Vorräte für den Winter mussten aufgefüllt werden. Da ich Großvater die Anstrengung einer langen Kutschfahrt nicht zumuten mochte, bat ich Petre Petrov, mich zu einer Einkaufsfahrt nach Kronauburg zu begleiten. Als wir das Gelände der Kronauburger Handelsorganisation erreichten, wartete eine lange Schlange von Genossenschaftlern auf ihre Abfertigung. Wegen der eingeschränkten Öffnungszeiten zeichnete sich ab, dass wir erst am nächsten Morgen Ware erhalten würden. Wir beschlossen, die Nacht auf dem Strohlager im Pofta Buna zu verbringen und von dem gesparten Geld in der Stadt einige Biere zu trinken. Aus Vorsicht mied ich zwar nicht den Kronauburger Marktplatz, wohl aber die Nähe zu dem Hofmann'schen Fotoatelier. Der Laborantin Irina wollte ich auf keinen Fall begegnen. Auf der Suche nach einem billigen Lokal schlenderte ich mit Petre den mittelalterlichen Burgberg hinauf. Unterhalb des Stundenturmes entdeckte Petre ein Geschäft, das anscheinend noch immer von privater Hand geführt wurde. Auf einem Schild war zu lesen »Gheorghe Gherghel. Antik. An- und Verkauf. Kommissionen«. Hinter einer Schaufensterscheibe, die seit Jahren nicht mehr geputzt worden war, lagen verschiedene optische Gerätschaften aus: antiquierte Monokel, Feldstecher und Zielfernrohre aus alten Armeebeständen, einlinsige Ferngläser und sogar ein Teleskop auf einem dreifüßigen Stativ. Petre, von dem nicht einmal ich wusste, dass er mitunter nächtens mit seinem Vater Trojan heimlich mit einem Karabiner auf Jagd ging, starrte wie

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