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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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zugleich.
    Ich hatte eine heftige Reaktion erwartet, doch die Angesprochene blickte mich nur müde an. »Ana, Marina, Elena, Alexa. Junge, such dir was aus.«
    Der Wirt brachte ein weiteres Bier und ein halb volles Wasserglas Likör.
    »Ana lebt erst seit letztem November hier«, erklärte Luca. »Ihre besten Jahre hat sie in der Hauptstadt gehabt. Nicht wahr, Ana. Hattest du doch?«
    Alexa nickte nur schwach und nippte an ihrem Glas. Dann führte sie mit flatteriger Hand Zeige- und Mittelfinger an die Lippen. Ich reichte ihr eine Carpati. Sie rauchte hastig, und ihr Blick verlor sich im Nirgendwo.
    »Sie hat zu viel getrunken«, raunte Luca mir zu, als verrate sie ein Geheimnis.
    »Ich geh pinkeln.« Petre stand auf, und der Wirt deutete auf eine abgeblätterte Tür. Alexa griff erneut zu ihrem Glas, als ich mich erhob und sie in den Arm nahm. Wenn überhaupt, so gab es für mich nur eine Möglichkeit, diese Frau zu erreichen. Ich flüsterte ihr einen Satz ins Ohr, den ich Sekunden später bereuen sollte: »Angelas Sonnenblumenkleid stand dir gut.«
    Mit einem Schlag war die Frau an meiner Seite nur noch Angst. Ihr Glas zerbarst auf dem Boden. Alexa sprang auf und stürzte ins Freie. Luca stürmte auf mich zu. Ihre Ohrfeige ging ins Leere. »Du abartiger Scheißkerl, was hast du von ihr verlangt?« Dann rannte Luca hinter ihrer Freundin her.

»Wo sind die beiden ? «, fragte Petre, als er bemerkte, dass er auf Glasscherben trat und in einer klebrigen Flüssigkeit stand.
    »Weg.«
    »Gott sei Dank. Trinken wir noch ein Bier?«
    »Ich hab genug.« Ich wünschte, Lucas Ohrfeige hätte mich getroffen.
    Im Laufe des Herbstes hatte sich die Gewissheit gefestigt, dass es ein Fehler von Großvater war, nicht auf den Rat des verstorbenen Dr. Bogdan gehört zu haben. Der Landarzt hatte Ilja über die Jahre hinweg gewarnt, seit seiner schweren Vergiftung in Kindertagen würde sein anfälliger Körper selbst geringe Dosen Alkohol nicht mehr vertragen. Dr. Bogdan hatte recht behalten. Zwar traten die Schüttelattacken nur sehr selten auf, doch sein Erinnerungsvermögen ließ Großvater immer öfter im Stich.
    Es begann damit, dass er die Wünsche der Kundinnen entgegennahm, dann jedoch ratlos vor den Regalen stand und vergessen hatte, was er eigentlich holen wollte. Kathalina fiel auf, dass ihr Schwiegervater, der sich früher blind in der Welt der Zahlen zurechtgefunden hatte, sich immer öfter beim Addieren der Warenbeträge zu seinen Ungunsten verrechnete. Um zügig bedient zu werden, riefen die Frauen nach mir, während sich Großvater immer mehr in einer imaginären Welt verkroch, weil er sich in der realen nicht mehr zurechtfand.
    Auch für die Männer war Ilja als Schankwirt nicht mehr der Alte. Oft mussten sie ihn drei- oder viermal bitten, die Gläser wieder zu füllen, was er zunächst noch höflich, später jedoch immer widerwilliger erledigte. Er reagierte sogar regelrecht wütend und schimpfte wie ein Rohrspatz, wenn es jemand wagte, ihn anzusprechen, wenn er vor seinem Fernseher saß. Zuerst schaute er nur Nachrichten und sowjetische Spielfilme, dann sah er sich alles an, was über den Bildschirm flimmerte, schließlich sogar das Testbild nach Programmschluss. Zu den weiteren Merkwürdigkeiten, denen Großvater anhing, gehörte unter anderem, dass der Fernsehapparat niemals vor achtzehn Uhr, dem offiziellen Ladenschluss seiner HO-Filiale, angeschaltet werden durfte. Womit meine Mutter und ich durchaus leben konnten, zumal Großvater zwischendurch auch Tage geistiger Klarheit hatte, an denen er ganz normal und umgänglich war.
    Kathalinas Geduldsfaden riss jedoch, als ein kräftiger Herbststurm im Jahre '60 die Antenne abknickte. Opa blieb dennoch vor der Flimmerkiste hocken und rückte mit seinem Schemel immer dichter heran. Jedes Mal, wenn der schwarze Störbalken von oben nach unten über die Mattscheibe huschte, klatschte er in die Hände und rief wie ein Kind: »Da ist er wieder. Da ist er wieder.«
    In unserer Verzweiflung über Iljas Wesensverwandlung und Infantilisierung suchten Mutter und ich den Sachsen Hermann Schuster auf, der sich keinen anderen Rat wusste, als Großvater auf seinen Kutschbock zu packen und zu einer Untersuchung in das Spital nach Kronauburg zu bringen. Ich bestand darauf, Großvater und den Sachsen zu begleiten, teils aus echter Fürsorge, teils aber auch, weil ich unbedingt die Gelegenheit nutzen wollte, in dem Hospital jemanden zu besuchen. Die Ärztin Paula

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