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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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zum Atheismus läuft wie geschmiert. Nichts soll uns daran erinnern, dass die Muttergottes auf dem Mond ist. Maria ist die Herrscherin des Mondes.«
    »Wahnsinn«, sagte Ilja. »Warum bloß sind wir nicht früher darauf gekommen?«
    »Weil wir die Heilige Schrift nicht studiert haben. Sie ist die Quelle aller Erkenntnis, die Quelle, aus der Papa Baptiste immer getrunken hat. Gibt es einen größeren Beweis, als das Wort Gottes höchstpersönlich?«
    Großvater schüttelte den Kopf. Dimitru schaute zur Decke, bis in den letzten Seelenzipfel verzückt vom Leuchtstrahl der Erkenntnis. Dann fiel er Ilja um den Hals, der die schmatzenden Freudenküsse seines Freundes mit ebensolchem Glück erwiderte.
    »Ich habe geredet! Ich habe gesprochen! «, rief der Zigan plötzlich, als er gewahrte, dass sein Schweigebann endlich gelöst war. Leichtfüßig, fast schwerelos hüpfte und tanzte er über die Bücher, die auf dem Boden zerstreut lagen. Ich mischte mich ein.
    »Du wirst bald noch mehr sprechen müssen, Dimitru. Die Lage ist ernst. Koroljows >Projekt< tritt in die Endphase. Er schießt keine Hunde mehr in den Himmel. Gagarin war im All. Gleich im Fernsehen bringen sie den Beweis.«
    »Also, worauf warten wir noch! Tempus fugus! Wir vertrödeln hier nur unsere Zeit.« Dimitru schloss die Bücherei zu und stolzierte Arm in Arm mit Ilja mit zu uns nach Haus. Kathalina jubelte vor Freude, als sie aus dem Mund des Zigans die Worte vernahm, »Sei gegrüßt, meine Liebe«, und auch ich durfte loswerden: »Endlich bist du wieder unter den Lebenden.«
    »Stimmt«, lachte Kathalina und rümpfte die Nase, »aber bevor die Lebenden dich aufnehmen, bedarf es dringender Hygienemaßnahmen. Dimitru, du stinkst erbärmlich.« Mutter heizte den Badekessel ein und bereitete heißes Wasser für den Waschzuber. Dann schickte sie mich zu Hermann Schuster, um die Nachricht von Dimitrus Wiedergeburt zu verkünden und um nachzufragen, ob sich aus den Kleiderbeständen des ältesten Sohnes Andreas vielleicht eine ausrangierte Hose, ein Hemd und eine Jacke erübrigen ließen. Nach dem Bad bugsierte sie Dimitru auf einen Stuhl auf der Terrasse und griff zur Schere. Unter dem Gejohle der Dorfkinder schnitt sie ihm die Haare.
    »Aber der Bart bleibt dran!«
    Auf Kathalinas juxige Bemerkung, ohne Bart sei er für die Damenwelt gewiss noch unwiderstehlicher, antwortete Dimitru: »Glaubst du etwa, das Volk Israel wäre dem Moses durch das Rote Meer gefolgt, wenn er nicht so einen üppigen Bart gehabt hätte? Niemals! Nicht trotz, sondern wegen seines Bartes stieg der Alte nachts nie allein in sein Bett.«
    Als Großvater bekräftigend hinzufügte: »Lies die Bibel, Kathalina, dann weißt du, was für einen Stamm der Moses gezeugt hat«, war offenkundig, Dimitru Carolea Gabor war wieder der Alte. Und seine Freundschaft zu Großvater Ilja war es auch.
    Um sieben Uhr waren die besten Plätze vor dem Fernseher belegt, um halb acht war die Schankbutike zum Bersten voll. Der angekündigte Sensationsbericht um Viertel nach acht begann mit einem längeren Vorspann, dem selbst derjenige, der den propagandistischen Zweck durchschaute, eine ungemein ausgekochte Machart attestieren musste.
    Ein langsamer, bleischwerer Trauermarsch leitete den Bericht ein. Nach drei Takten schwelte eine Stimmung, als trage man etwas wahrlich Bedeutsames zu Grabe. Auf der schwarzen Mattscheibe wurde übergroß eine amerikanische Dollarnote eingeblendet. Ein getragener Kommentar unterlegte: »Dieses Geld will die Welt regieren.« Es folgten dramatische Paukenschläge. Trommelwirbel. »Doch wer? Wer steckt hinter diesem Geld?« Mit der Frage wurde die triste Musik noch trister, und Filmsequenzen reihten sich in kurzen Schnitten scheinbar willkürlich aneinander. Zigarren qualmende Kapitalisten ließen sich von dunkelhäutigen Chauffeuren die Türen zu ihren limousinen aufhalten, während Arbeitslose mit gesenktem Haupt vor verschlossenen Fabriktoren Schlange standen. Einer war sogar barfuß. Fassungslos und mit offenen Mündern sahen wir alle zu, wie ein beleibter Kinoproduzent in knielanger Hose einer Filmschönheit mit prallen Brüsten in den Hintern kniff und sofort darauf Dutzende von Polizeiknüppeln auf einen wehrlosen Schwarzen niederprasselten. Einen Höhepunkt der Geschmacklosigkeit lieferte eine Wasserstoffblondine. Schamlos stellte sie sich ausgerechnet über einen Lüftungsschacht und ließ sich das Kleid über den Po wehen, sodass jeder ihren Schlüpfer sehen konnte. Danach

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