Wie die Madonna auf den Mond kam
trat ein geleckter Strahlemann auf, der von einem Rudel halb nackter Frauen abgeküsst wurde, die alberne Hasenohren trugen. Unvermittelt wurde die Musik so laut, schrill und wild, dass sich manche in der Schankstube die Ohren zuhielten. Zu wüstem Gitarrengeschrammel zuckte ein überdrehter Schreihals mit den Hüften und streckte seinen Unterleib vor und zurück. Dazu jaulte er etwas Undefinierbares in ein Mikrofon, während junge Mädchen kreischend und in ekstatischen Gebärden mit den Händen nach dem animalischen Kerl grapschten. Während Dimitru noch rhythmisch mit dem Fuß wippte, riss die Musik ab. Man sah ein Bild von amerikanischen Studenten, die auf einem Universitätscampus lungerten und Kaugummis kauten.
»Soll diese Jugend den menschlichen Geist beflügeln und den Fortschritt vorantreiben? «, fragte die Stimme des Fernsehsprechers, als ein Raunen und dann ein Aufschrei durch die Schankstube ging. Eine Rakete stand auf einer Startrampe. Jemand zählte. Feif, fohr, srieh, tuh, wann, und dann noch ein paar Worte, die niemand verstand. Ein gigantischer Ball aus Rauch und Feuer hüllte alles ein. Auf dem Bildschirm wurde die Schrift eingeblendet: »Start des Satelliten Vanguard, USA, 6.12.1957.« Langsam hob die Rakete ab. Dann fiel sie um und explodierte. »Amerikas Traum ist ein Albtraum«, sagte die Stimme. Schnitt.
Es folgte Tschaikowsky. Der strahlende Juri Alexejewitsch Gagarin winkte in Kameras. Sehr viele Kameras. Dann erneut ein Bild einer Startrampe. Turmhoch. Die Raumkapsel Wostok . Heißt übersetzt »Osten«. Schon der Name wird die Amis ärgern. Countdown auf Russisch. Neun Uhr und fünf Minuten Moskauer Ortszeit. Wieder Feuer und Rauch. Fantastischer Start. Traumhafter Feuerschweif. Höher, immer höher. Gagarins Stimme: »Beobachte die Erde. Sicht gut. Alles normal. Alles funktioniert ausgezeichnet. Fliege weiter. Stimmung optimistisch. Alles verläuft gut. Maschine arbeitet normal. Beobachte nun den Himmel.«
Schnitt und Rückblende. Szenen seines Werdegangs: Gagarin, der Sohn aus armer Landarbeiterfamilie, der Sohn des Volkes, fleißig, zielstrebig, den Blick nach vorn. Der Schüler Gagarin, der Mathematikstudent, der Parteigenosse. Der belesene Gagarin, Marx und Lenin unterm Arm. Der Major der Luftwaffe, immer der Beste, immer mit Auszeichnung, maximal. Kosmonaut, Held der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, erster Mann im Weltall, schwerelos, unsterblich. Genug Gagarin.
Chruschtschow schob sich ins Bild. Überlegen, selbstsicher, jovial. Schwenkte ein Telegramm. Glückwünsche vom amerikanischen Präsidenten. Kennedy gratulierte, redete von hehren Zielen der Menschheit und bot den Sowjets sogar eine Zusammenarbeit an. Gemeinsam den Himmel erforschen? Chruschtschow lachte, schüttelte den Kopf. Wer paktierte schon mit Verlierern? Der Zuschauer wusste längst, die Amerikaner kriegten es nicht hin. Dann Chruschtschow beim Händeschütteln, Schulterklopfen. Er ergriff Gagarins Hand. Reckte sie hoch. »Gut gemacht, Juri.« Blitzlichtgewitter. Das war Weltgeschichte.
Dann die entscheidende Frage: »Genosse Juri, hast du da oben am Himmel eigentlich Gott gesehen?«
Gagarin antwortete: »Nein«.
»Gute Frage von Nikita«, kommentierte Nico Brancusi. »Gute Antwort von Juri«, sagte sein älterer Bruder Liviu.
Niemand aus Baia Luna widersprach. Die Sondersendung war zu Ende. Ilja schaltete den Fernseher aus. Die Gäste zogen nach Hause, als sei nichts Weltbewegendes geschehen. Nur Großvater, Dimitru und ich blieben in der Schankstube zurück.
»Meint ihr nicht auch, nach meiner Epoche der Abstinenz wäre mal wieder Zeit für ein Gläschen?«
Ich stand auf. Doch anders als vor Jahren, als ich Dimitru als Schankbursche bedient hatte, stellte ich für den Zigeuner erstmals in meiner Eigenschaft als Schankwirt eine Flasche Zuika auf den Tisch. »Die geht auf Kosten des Hauses.«
»Mensch, Pavel«, schaute er zu mir auf. »Aus dir ist ja ein echter Mann geworden.«
Zu meinem und Iljas Erstaunen trank der Zigan tatsächlich nur ein Glas.
»Es sieht nicht gut aus für Amerika«, sagte Großvater. »Ihre Raketen taugen nichts. Aber ich glaube, der Chruschtschow hat einen Fehler gemacht.«
Dimitru wiegte den Kopf. »Oh ja, mein Freund, das hat er. Einen grande Errorfatal.«
»Wenn der Ami schlau ist«, fuhr Großvater fort, »dann kapiert er jetzt, weshalb der Russe Kosmonauten in Raketen steckt.«
»Aber der Amerikaner ist nicht schlau. Er hat nur das Glück, dass Nikita noch
Weitere Kostenlose Bücher