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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Land, das vielleicht enteignet wird, oder kauft ein Haus in einem Dorf, das keine Zukunft hat?«
    Letztere Bemerkung quittierten die Männer mit einem halbherzigen »Man werde schon noch sehen«, doch nach dem Besuch bei Birta hatte sich das Ersuchen um die Unterschrift erledigt, sodass die Abordnung auf den Namen Heinrich Hofmann verzichten konnte.
    Als die Turmuhr neun schlug, fehlte auf der Liste nur noch ein Name, den Kallay, Schuster und Petrov jedoch ohne Schwierigkeiten bekommen würden. So glaubten sie. Der Name meines Großvaters. Wir stiegen zurück ins Dorf und steuerten, weil die Schänke wegen der Trauer um Baptiste und Fernanda geschlossen war, den Hintereingang an.
    Meine Familie war von den anstehenden Enteignungen nicht betroffen. Wir besaßen nur ein unbedeutendes Stück Weideland, das bloß ein paar Schafe ernährte und so klein war, dass es unterhalb der Normgröße blieb, ab der privates Land ins Kollektiv überführt werden sollte. Zudem lief es der Vernunft zuwider, eine Wirtsstube mit ein paar Tischen und Bänken zu kollektivieren und einen Kramladen zum Eigentum des Volkes zu erklären, der das Dorf gerade mit dem Nötigsten versorgte.
    Im Hausflur stand meine Tante Antonia, die sich aus Schmerz über den Verlust des geliebten Pfarrers ganz in Schwarz gehüllt hatte. Mit rot geweinten Augen sagte sie nur, I1ja und Dimitru seien im Laden.
    »Wir wollen nicht stören«, sagte Hermann leise. »I1ja, unterschreib, und wir sind wieder weg.« Schuster reichte ihm den Stift und die Liste mit den Namen. Opa betrachtete das Blatt und erweckte den Eindruck, als wolle er seine Unterschrift womöglich verweigern.
    »Ich muss erst meine Brille in der Wohnstube suchen.« Hermann Schuster wunderte sich, zumal er Großvater noch nie mit Augengläsern gesehen hatte. Ich wunderte mich nicht. Opa besaß keine.
    Er zupfte Dimitru am Ärmel. »Komm mit«, flüsterte Großvater dem Zigeunerfreund zu.
    I1ja reichte Dimitru das Papier und den Bleistift. »Schnell, schreib meinen Namen da drauf!«
    »Du, du kannst es nicht?« Aus Dimitrus Stimme klang nicht Vorwurf, sondern Mitleid. »Ich habe es immer geahnt. Aber jetzt, mein Freund, weißt du, dass dein Freund es weiß. Ab jetzt bist du zu zweit.« Dann schrieb er mit flinker Hand.
    »Hast du deine Brille gefunden?«, rief Schuster.
    Großvater antwortete nicht und reichte Hermann die Liste mit den Namen. Ganz unten stand mit klarer Schrift: »Borislav Ilja Botev.«
    Kallay, Petrov und Schuster bedankten sich und gingen. »Bete für uns, wenn morgen dieser Raducanu kommt«, sagte der Sachse noch. Großvater nickte.
    Lupu Raducanu kam nicht. Den ganzen Tag war im Dorf die Anspannung zu spüren, was passieren würde, wenn er auftauchte. Die Männer, die für Fernanda Klein und Johannes Baptiste zwei Grablöcher s chaufelten, brauchten ein Viel faches der Zeit, die gewöhnlich für diese traurige Arbeit nötig war. Immer wieder hielten sie inne, blickten auf und schauten in Richtung des Weges nach Apoldasch, auf dem der Geländewagen auftauchen musste. Aber er tauchte nicht auf. Nicht am Montag, nicht am Dienstag und auch nicht am Mittwoch. Am Donnerstagmittag liefen die Menschen zusammen, als Margitha Desliu vom Friedhofshügel in der Ferne im Schnee einen schwarzen Punkt erblickte. Als sie erkannte, was sich langsam näherte, eilte sie ins Dorf hinunter. »Der Leichenwagen! Der Leichenwagen kommt! «
    Der Wagen stoppte auf dem Dorfplatz. Es war ein anderer Chauffeur als derjenige, der Fernanda Klein und Johannes Baptiste zur Obduktion nach Kronauburg transportiert hatte. Er trug einen schwarzen Anzug, ebenso wie sein jüngerer Begleiter. Die beiden grüßten eher förmlich als freundlich und mühten sich um Pietät.
    Im Dorf hatte man die Särge schon lange erwartet und beschlossen, sie nach ihrer Ankunft in der Kirche aufzubahren, um die Leichname am folgenden Tag zu bestatten. Gemeinhin nahm bei dem Tod eines Priesters der Bischof oder ein Weihbischof der Diözese die Zeremonie der Beisetzung vor. Da es in Baia Luna aber als offenes Geheimnis galt, dass das Verhältnis des Kronauburger Klerus zu Pater Johannes von gegenseitiger Abneigung geprägt war, hatte man nach dem Geistlichen in Schweischtal gefragt, der sich bereit erklärte, den Toten die letzte Ölung zu erteilen und die würdige Beerdigung seines Amtsbruders und der Haushälterin zu übernehmen.
    Als Geste der Hochachtung hatte der Dorfrat beschlossen, die beiden Toten nicht wie üblich auf dem

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