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Wie die Tiere

Wie die Tiere

Titel: Wie die Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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es klappt zweimal, und beim dritten Mal liegst du wieder unten.
    Es war aussichtslos. Und mit der Zeit tun dir die Pratzen natürlich so weh, dass du nicht mehr hingreifen magst. Dann entdeckst du doch wieder einen Mauervorsprung, du schöpfst wieder Hoffnung, du ziehst dich mit der letzten Kraft hinauf, und dann kommt dir die Wand entgegen und du liegst wieder unten. Natürlich, du wirst sagen, im Leben ist es auch nicht anders, aber das war schon eine besonders ungemütliche Version davon. Jetzt hat der Brenner sich hingesetzt und überlegt, ob er irgendeinen der Sätze vom Schmalzl verwenden könnte.
    Satz hat er keinen gefunden, aber ausgerechnet das Sitzen hat ihn dann weiter gebracht. Weil auf einmal fragt er sich, worauf sitze ich da eigentlich. Er hat recht mit sich gekämpft, ob er das Handy noch einmal als Lichtquelle einschalten soll. Stell dir vor, er schafft es doch irgendwie bis zur Spinnwebe hinauf, und dann ist der Akku leer. Aber ich glaube, er hat sich jetzt so allein gefühlt, dass er doch ganz kurz gedrückt hat.
    Und es hat sich ausgezahlt. Weil die Hartwig hat ihn dann so nett angelächelt, mit den Unterzähnen, dass der Brenner es als Einverständnis genommen hat. Vielleicht hat er es sich in seiner Not auch nur eingeredet, aber vorgekommen ist es ihm so. Die Hartwig gibt mir mit ihrem Lächeln das Einverständnis.
    Und ich muss auch sagen, warum nicht. Mein Gott, die Hartwig spürt es nicht mehr, warum soll sie ihm nicht ein bisschen die Räuberleiter machen. Da war der Brenner wirklich nicht der erste Lebende, der über einen Toten hinweggestiegen ist.
    Aber das ist das Schöne im Leben. Genau gleichzeitig mit etwas Furchtbarem passiert ein paar hundert Meter weiter etwas Wunderschönes. Und das sieht oberflächlich betrachtet womöglich sogar ganz ähnlich aus. Sprich: Die Magdalena hat dem Berti in einer halben Stunde ein paar Sachen gezeigt, von denen seine Hubschraubertussi nicht einmal gewusst hat, dass es sie gibt. Der Berti nachher auch ein bisschen Leiche, das muss ich ganz ehrlich zugeben.
    Und genau in dem Moment, wo er geglaubt hat, er darf jetzt einschlafen, sagt die Magdalena: «Ich mach mir langsam Sorge um den Brenner. Jetzt ist er schon zweite Nacht nicht heimgekommen.»
    Der Berti dafür umso optimistischer: «Wahrscheinlich hat er eine kennen gelernt. Der tut vielleicht gerade das Gleiche wie wir», hat er im Einschlafen gemurmelt. Es war Sonntagmittag, draußen herrlicher Sonnenschein, aber der Berti hätte sich jetzt nichts Schöneres vorstellen können, als ein bisschen schlafen.
    «Glaub ich nicht», hat die Magdalena gesagt.
    «Mhm.» Der Berti hat in Wirklichkeit schon geschlafen. Aber in so einer Situation musst du als Mann den Trick beherrschen, dass du im Schlaf so tust, als würdest du dich noch unterhalten. Weil da sind die Frauen gnadenlos, sie gönnen dir den Schlaf nicht. Und der Berti hat jetztsogar im Schlaf noch ein bisschen geblinzelt, damit er den Eindruck unterstreicht: Ich bin voll bei der Sache.
    Aber interessant. Wenn du im Schlaf blinzelst, dann kommt so ein hauchdünner Lichtspalt herein, das ist ganz ein ähnlicher Eindruck, wie du ihn hast, wenn du im Flakturm auf einen Sprengriss zu kletterst.
    Der Brenner war jetzt schon ziemlich weit oben, weil vom ersten in den zweiten Stock hat er eine gute Stiege erwischt. Die war dann allerdings auf einmal aus, und im Stockfinsteren sind Stiegen, die auf einmal aus sind, eine verteufelte Angelegenheit. Wenn er da noch einen Schritt mehr gemacht hätte, wäre es zehn Meter gerade hinuntergegangen, und da hat der Brenner wirklich eine ganze Armee Schutzengel gehabt. Und zusätzlich noch das Sensorium. Weil Kopfweh hin oder her, nach zwei Tagen und zwei Nächten im Flakturm hast du ein Sensorium, das geht weit über das Natürliche hinaus. Da war das Sensorium fast noch unnatürlicher als die Schutzengel, und gemeinsam haben sie eben dem Brenner zugeflüstert, lieber keinen Schritt mehr. Lieber einen todesmutigen Klimmzug.
    Weil da hat er in der Mauer eine Ritze ertastet, und dann Klimmzug mit einem Arm. Der Brenner hat in seinem ganzen Leben keinen Sport gemacht, und heute sowieso in keinem sehr guten Zustand. Aber Klimmzug mit einem Arm hat der immer gekonnt, das hat ihm die Natur mitgegeben, sein Großvater hat das gekonnt, und er hat das auch gekonnt, weil wenn du die Schultern hast und wenn du die Oberarme hast, und wenn du die Unterarme hast, und wenn du vor allem die Finger hast, dann brauchst du das

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