Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Lager vorbei. Für eine Joggerin wirkte sie zu ängstlich, aber eine Obdachlose konnte sie auch nicht sein, dafür war sie zu sauber, und sie hatte kein Gepäck bei sich.
» He!«, rief ich hinter ihr her. » Alles in Ordnung?«
Sie drehte sich um und stoppte. Keuchend, die Hände in die Hüften gestützt, stand sie da, als müsse sie erst überlegen, ob alles in Ordnung war. Vielleicht war sie auch unsicher, ob sie mir trauen konnte.
» Wir tun Ihnen nichts«, erklärte ich und hob mein Fotoalbum, als sei das ein Beweis dafür.
Sie zögerte noch einen Moment, dann kletterte sie den Bahndamm herunter zu unserem Lager. Sie war klein und wirkte angespannt und leicht aggressiv. Etwa fünf Meter vor mir blieb sie stehen.
» Was machen Sie hier draußen so ganz allein?«, erkundigte ich mich.
» Kommen Sie aus Vidalia?«, fragte sie. Ich nickte. » Ich komme auch aus Vidalia, und ich will möglichst weit weg.«
Ein paar verschlafene Gesichter zeigten sich in den Zelteingängen. Die anderen wollten sehen, mit wem ich da sprach.
Die Frau war Ärztin und hieß Eileen. In Vidalia hatte ein Arzt versucht zusammenzupacken und wegzuziehen, als es richtig schlimm wurde, und seitdem hauste er im Stadtgefängnis, wenn er nicht gerade Patienten behandelte. Eileen war vor Morgengrauen ausgerissen und hatte nichts mitgenommen, um keinen Verdacht zu erregen, falls jemand sie sah.
Sie erklärte uns, das Virus verhalte sich wie das Poliovirus, verbreite sich aber wie ein Grippevirus. Die Opfer verloren nach und nach jegliche Empfindung. Es begann in den Extremitäten, und wenn die Lähmung den Rumpf erreichte, erstickten sie.
» Sie können sich nicht vorstellen, wie grauenhaft das ist«, sagte Eileen. » Die halbe Stadt ist krank. Kleine Kinder und alte Leute sterben meistens. Kräftigere Menschen überleben zwar, bleiben aber gelähmt. Die Leute verlassen entweder die Stadt oder verkriechen sich, um dem Virus nicht ausgesetzt zu sein. Es gibt nicht genug Leute, die den Infizierten Lebensmittel und Wasser bringen können, deswegen müssen die Kranken aus ihren Häusern raus und sich Essen und Trinken suchen, bis sie nicht mehr können. Sie verdursten.«
Ich schenkte Eileen eine halbe Styroportasse Wasser ein und stellte sie in die Mitte zwischen uns. Sie bedankte sich und holte sich das Wasser. Beim Trinken hielt sie die Tasse mit beiden Händen fest, damit sie nicht zitterte.
» Ich konnte überhaupt nichts tun«, berichtete sie. » Ich kann ihnen nicht helfen! Das ist kein normales Virus, es verbreitet sich zu schnell. Es muss eine Laborzüchtung sein.«
» Aber wer sollte denn so ein Virus im Labor herstellen?«, fragte Colin.
Eileen zuckte die Achseln.
» Rebellen vielleicht, die die Regierung stürzen wollen. Oder die Regierung selbst«, mischte Jim sich ein.
» Hören Sie, kann ich Ihnen ein paar Vorräte abkaufen?«, fragte Eileen. » Ich habe Bargeld.«
Nachdem wir ihr einige Dinge verkauft hatten, machte sie sich wieder auf den Weg.
Um die Mittagszeit setzte Gewehrfeuer ein– nicht die vereinzelten Schüsse, an die wir uns schon gewöhnt hatten, sondern Dauerfeuer aus Maschinengewehren. Das war das Militär. Verwirrt sahen wir uns an.
» Oh Gott«, sagte Colin. » Sie säubern Vidalia.«
Ich konnte es mir vorstellen– Soldaten in gelben Schutzanzügen gingen von Tür zu Tür und brachten alle Einwohner der Stadt um. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte diese Regierung genau so auf den Ausbruch der Krankheit.
Am späten Nachmittag erreichten wir Statesboro. Cortez und Charlie wollten versuchen, im Wal-Mart Vorräte zu besorgen, während wir Übrigen weiter in die Stadt hineingingen, um an einige unserer vertrauenswürdigen Handelspartner Energie zu verkaufen.
Der Weg in die Innenstadt führte uns durch mehrere frühere Mittelschichtsviertel. Gab es diese Schicht überhaupt noch? Schwer zu sagen. Es gab die Verhungernden, die beinahe Verhungernden (uns), die Bitterarmen, die Armen und– wie immer– die Stinkreichen.
Wir kamen an ein paar Kindern vorbei, die Immigrationspolizei und illegale Einwanderer spielten. Die illegalen Einwanderer babbelten etwas auf Pseudo-Spanisch, während die Polizei ihnen Handschellen aus den weißen Plastikringen von Sixpacks anlegte und sie abführte.
Ein Mann in schweißgetränktem T-Shirt kam aus seiner Garage und starrte uns mit verschränkten Armen an.
» Was wollt ihr hier?«, rief er uns entgegen.
» Wir wollen Ihren Rasen mähen«, erwiderte Ange. Das war ein
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