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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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jetzt nicht.
    Wenige Sekunden später bimmelte es schon wieder.
    Möchte dich sehen. Bitte. Wichtig.
    Ich sehnte mich nach Sophia, aber ich hätte ihr nicht in die Augen sehen können. Ich konnte ihr nicht erzählen, was wir getan hatten.
    Ein andermal. Bald.
    Einen Augenblick später bimmelte es erneut.
    Und dann noch mal.
    Ich muss dich sehen!
    Wir verabredeten ein Treffen.
    Wie immer las ich Sophias Nachrichten mehrmals. Ich suchte nach Nuancen, die ich vielleicht überlesen hatte, und saugte jeden letzten Rest von Bedeutung heraus. Dann steckte ich das Handy weg.
    Ich kann mich nicht gut verstellen. Noch bevor ich ganz in ihrem Wagen saß, heulte ich los. Sophia hielt mich in den Armen und wartete ab, während ich ihr schluchzend alles erzählte.
    Sie versicherte mir, wir hätten keine Wahl gehabt, wir hätten das Richtige getan. Sie sagte, wenn sie dabei gewesen wäre, wäre sie mit uns reingegangen, um Ange zu retten. Aber sie war nicht dabei gewesen; sie hatte nicht auf schreiende Menschen eingestochen. Es war etwas ganz anderes, ob man eine Tat bloß beabsichtigte oder sie wirklich ausführte. Das war mir erst so richtig klar geworden, als ich hatte handeln müssen.
    Als Bildschirmschoner in meinem Hirn fungierte nun nicht mehr das Bild der schönen, lächelnden Sophia, sondern das eines schreienden Mannes mit einer Hand, die fast bis zum Handgelenk aufgeschlitzt war.
    » Ich habe ein Vorstellungsgespräch für dich arrangiert, in Savannah. Nichts Großartiges, bloß ein Job in einem Mini-Markt, aber immerhin ein Anfang.« Sophia war so auffallend sauber, ihre Kleidung so frisch und so neu.
    » Ich kann meine Sippe nicht verlassen«, sagte ich. » Sie brauchen mich jetzt mehr denn je; wir müssen zusammenhalten.«
    » Doch.« Sophia zog mich wieder an sich. » Du musst nach Savannah kommen. Damit hilfst du ihnen viel mehr. Du kannst dir eine Wohnung mieten, dann können sie alle bei dir bleiben und sich Arbeit suchen.«
    Du kannst dir eine Wohnung mieten. Nicht » wir«. Drei sind einer zu viel.
    » Ich kann sie jetzt nicht im Stich lassen.«
    » Wie soll denn jemals einer von euch da rauskommen, wenn ihr euch weigert, euch zu trennen?«
    » Keine Ahnung.«
    Sophia drückte mir die Infos für das Vorstellungsgespräch in die Hand. » Geh einfach mal hin.«
    Ich holte das Handy aus der Tasche und hielt es ihr hin. » Ich werde dich immer lieben, Sophia. Ewig.«
    Neue Tränen kullerten aus ihren dunklen Augen. » Nein, ich will es nicht wiederhaben.«
    » Ich kann nicht mehr drangehen.«
    » Dann gehst du eben nicht dran.«
    Ich küsste sie, lange und leidenschaftlich, und zum ersten Mal seit unserem Kinobesuch ließ sie es zu. Dann stieg ich aus und verschwand im Wald, um zu meiner Sippe zurückzukehren.
    Dann gehst du eben nicht dran, hatte Sophia gesagt. Aber ich wusste genau, dass ich wieder drangehen würde, wenn sie anrief.
    Unterhalb des Bahndamms befand sich ein Zypressensumpf. Die Bäume hatten Wurzeln wie schmelzendes Wachs, und ihre Äste waren mit Spanischem Moos behangen. In hohem Bogen warf ich das Handy fort. Es prallte von einem Baumstamm ab und fiel platschend ins braune Wasser.

2
    Vernissage
    Herbst 2024
    (AchtzehnMonatesp ƒ ter)
    Der buttrig-süße Duft der Schokoriegel, die ich in die Drahtständer an der Kasse sortierte, machte mich ganz verrückt. Ich malte mir aus, wie ich hinter der Kassentheke hockte, wo Amos der Vollstrecker mich nicht sehen konnte und gierig ein paar davon verdrückte. Aber ich konnte es mir nicht leisten, meinen Job zu verlieren, außerdem wollte ich Ruplu nicht bestehlen. Es war zwar irgendwie komisch, einen neunzehnjährigen Chef zu haben, aber der Junge war Gold wert, und ich stand in seiner Schuld, weil er mich eingestellt hatte. Obendrein hatte meine Mama mir beigebracht, dass man nicht stehlen darf.
    Nach einer Weile hatte ich Kopfweh von den vielen bunten Päckchen in meinem Blickfeld. Gestelle mit Chips und Crackers, mit Kaugummis und Limo, Zigaretten und Bier, Energy Packs und Wasserfiltern, Zeitschriften, 3-D-Pornos– es gab kaum ein freies Fleckchen, auf dem meine Augen sich ausruhen konnten.
    Amos schaute mit verschränkten Armen aus dem Fenster. Die Pistole hatte er im Gürtel stecken.
    » Wie geht’s, Amos?«, fragte ich ihn.
    » Gut. Echt gut«, sagte er, ohne den Kopf zu drehen. Amos war nicht gerade redselig. Seine Qualifikation für den Job schien darin zu bestehen, dass er eine Knarre besaß und ganz heiß darauf war, sie zu benutzen.
    Die

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